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An Johann Heinrich Merck

Weimar, den 7. April 1780.

Auf deinen Brief, den ich gestern durch den Herzog erhalten habe, will ich dir gleich antworten, damit du auch wieder einmal Etwas von mir vernimmst. Durch meine letzte Krankheit hat sich die Natur sehr glücklich geholfen. Schon in Frankfurt, und als wir in der Kälte an den Höfen herumgezogen, war mir's nicht just. Die Bewegung der Reise und der ersten Tage ließ es aber nicht zum Ausbruche kommen. Doch hatte ich eine böse Zusammengezogenheit, eine Kälte und Untheilnehmung, die Jedermann auffiel und gar nicht natürlich war. Jetzo geht wieder alles ganz gut. Der Herzog ist wohl, trägt, wie du vielleicht schon weißt, einen Schwedenkopf, und wir führen unsere Sachen getreulich und ordentlich weiter. Ich war gleich wieder zu Hause gewohnt, als wenn ich gar nicht weg gewesen wäre. Für Lavatern suche [200] ich jetzt eine Sammlung von Albrecht Dürers zu komplettiren. Auf beiliegendem Zettelchen sind die Nummern nach Hüsgen, die er schon besitzt; wo c dabei steht, ist eine Copie. Sei doch ja so gut, wenn du mir von denen fehlenden einige schaffen kannst, es zu thun; ich möchte dem Alten gern das Vergnügen machen. Von den Holzschnitten kriegst du auch ehstens ein Verzeichniß. Vor Dürern selbst und vor der Sammlung, die der Herzog besitzt, krieg ich alle Tage mehr Respekt. So bald ich einmal einigen Raum finde, will ich über die merkwürdigsten Blätter meine Gedanken aufsetzen, nicht sowohl über Erfindung und Composition, als über die Aussprache und die ganz goldne Ausführung.

Ich bin durch genaue Betrachtung guter und schlechter auch wohl aufgestochner Abdrücke von Einer Platte auf gar schöne Bemerkungen gekommen. Außer dem gewöhnlichen Tagewerk, das ich mich nach und nach, mit der größten Geschwindigkeit, Ordnung und Genauigkeit von Moment zu Moment abzuthun gewöhne, habe ich, wie du dir leicht vorstellen kannst, immerfort eine Menge Einfälle Erfindungen und Kunstwerke vor.

Der wichtigste Theil unserer Schweizerreise ist aus einzelnen im Moment geschriebenen Blättchen und Briefen, durch eine lebhafte Erinnerung komponirt. Wieland deklarirt es für ein Poëma.

[201] Ich habe aber noch weit mehr damit vor und wenn es mir glückt, so will ich mit diesem Garn viele Vögel fangen.

Zur Geschichte Herzog Bernhard's habe ich viel Documente und Collectaneen zusammengebracht. Kann sie schon ziemlich erzählen, und will wenn ich erstlich, den Scheiterhaufen gedruckter und ungedruckter Nachrichten, Urkunden und Anekdoten recht zierlich zusammengelegt, ausgeschmückt und eine Menge schönes Rauchwerks und Wohlgeruchs drauf herumgestreut habe, ihn einmal bei schöner, trockner Nachtzeit anzünden und auch dieses Kunst- und Lustfeuer zum Vergnügen des Publici brennen lassen.

Von Dramas und Romanen ist auch Verschiedenes in Bewegung.

Den Oberon wirst du nun gelesen und dich dran erfreut haben. Ich habe Wielanden davor einen Lorbeerkranz geschickt, der ihn sehr gefreut hat.

Die Epochen de la nature von Buffon sind ganz vortrefflich. Ich acquiescire dabei, und leide nicht, daß Jemand sagt, es sei eine Hypothese oder ein Roman. Es ist leichter das zu sagen, als es ihm in die Zähne zu beweisen. Es soll mir keiner etwas gegen ihn im Einzeln sagen, als der ein größeres und zusammenhängenderes Ganze machen kann. Wenigstens scheint mir das Buch weniger Hypothese . als das erste Capitel Mosis zu seyn.

[202] Es schleicht ein Manuscript von Diderot: Jacques le fataliste et son maitre herum, das ganz vortrefflich ist. Eine sehr köstliche und grobe Mahlzeit mit grobem Verstand für das Maul eines einzigen Abgottes zugericht und aufgetischt. Ich habe mich an den Platz dieses Bel's gesetzt und in sechs ununterbrochenen Stunden alle Gerichte und Einschiebeschüsseln in der Ordnung und nach der Intention dieses künstlichen Koches und Tafeldeckers verschlungen. Es ist nachhero von mehreren gelesen worden, diese haben aber leider alle, gleich den Priestern, sich in das Mahl getheilt, hier und da genascht und jeder sein Lieblingsgerichte davon geschleppt. Man hat ihn verglichen, einzelne Stellen beurtheilt, und so weiter. –

Gezeichnet wird nicht viel, doch immer etwas, auch neulich einmal nach dem Nackten. Bald such' ich mich in dem geschwinden Abschreiben derer Formen zu üben, bald in der richtigern Zeichnung, bald such' ich mich an den mannigfaltigern Ausdruck der Haltung theils nach der Natur, theils nach Zeichnungen, Kupfern auch aus der Imagination zu gewöhnen und so immer mehr aus der Unbestimmtheit und Dämmrung heraus zu arbeiten.

Mit Beroldingen, dächt ich, machten wir's so: Ich will nichts bestellen, denn ich wüßte nicht auf was für Art man ihm Commission geben und sich auf ihn verlassen könnte. Kommt er einmal zurück, und du findst unter seinen Sachen Etwas, das für mich [203] wäre, und er entbehren wollte, so schafftest du mir's ja wohl um einen billigen Preiß. Laß den jungen Menschen, von dem er schreibt, doch ja gleich von Paris zurückgehn und einen Weg einschlagen, welchen er will, in Frankfurt kann er so viel lernen, als in Paris, wenn er Genie hat. Mach, daß ihm die Augen aufgehn an der Natur, laß ihn von ihr zu Zeichnungen, Gemälden und Radirungen gehen und wieder zu ihr zurück und sollt er auch zulezt kein Künstler des Lebendigen werden, sollte er blos verdammt seyn, fremde Werke nachzukritzeln, so kriegt er doch immer eher Auge, Begriff und Biegsamkeit.

Schreibe ja dem Herzog manchmal was, es unterhält ihn.

Aus einem Brief an Wielanden habe ich dein Hauskreuz schon gesehen und ist mir sehr lieb, daß es sich wieder erleichtert.

Schick doch ja was von Mineralien und sieh zu, ob du um einen geringen Preiß die merkwürdigsten Erscheinungen der Frankfurter Lava von Dr. Müllern erhaschen kannst. An Schrautenbachen will ich dir ehster Tage einige Silhouetten schicken, ich habe schon vor zwei Monaten einen Brief und eine flüchtige Zeichnung an ihn abgehen lassen. Ich habe die Zeit nicht gehört, ob er sie erhalten hat.

Für die Geh. Räthin will ich dir auch einmal ein Landschäftchen schicken. Es ist ein unglückliches Geschöpf, die eben ohne Hülse zu Grunde geht.

[204] Der an den Herzog überschickte Vorschlag zur großen poetischen Casse ist vortrefflich ausgeführt und wird auf der Leipzigermesse, wohin er sogleich gedruckt abgeht, einen ganz besondern Effect machen. Halt also das Maul und zeig ihn Niemand weiters, damit du dir nicht die Wespen auf den Hals ziehst.

Zur Beendigung der Geschichte des Herrn Oheim wird dir hiermit bis Ende Julius Frist gegeben. Ist den 1sten August das Manuscript nicht eingelangt, wodurch die Geschichte zu völliger Zufriedenheit vernünftiger und unvernünftiger Leser, wes Stands und Alters sie sein mögen, abgeschlossen ist, so werd ich mich gemüsiget sehen, solches ex officio zu thun. Nun lebe wohl und laß, wenn sich wieder was gesammelt hat, gelegentlich von dir hören.

Weimar, den 3. April 1780

G. [205]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1780. An Johann Heinrich Merck. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9E75-C