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An Carl Philipp von Martius

Ew. Hochwohlgeboren

höchst schätzbare Sendung fand mich leider sehr angegriffen von einem bösartigen Katarrh, der, wenn er auch mein Inneres nicht erreichte, doch fast jede Theilnahme nach außen und jeden daher zu schöpfen den Genuß verkümmerte.

Demohngeachtet zeigte sich Werth und Würde Ihres trefflichen Heftes allsobald thätig und wirksam, daß ich manchen heitern Zwischenraum benutzen, mich erquicken und größtentheils herstellen konnte. Nun will ich aber auch, obgleich nicht völlig genesen, meinen gebührenden Dank nicht länger aufschieben.

Von dem, was mir im Einzelnen und Besonderen theils bildlich, theils wörtlich mitgetheilt ward, verfehlte nicht, mir nach Möglichkeit gar manches anzueignen, mußte es aber dankbarlichst erkennen, daß Sie durch einen allgemeinern Aufsatz mich näher heranführen und mir das Ganze übersehbar machen wollen. Ich habe dieß schöne gründlich-lebendige Heft gelesen und wieder gelesen, und immer hat sich ein klareres, wenn schon gleich mildes Licht über das Ganze verbreitet. Gar löblich erklären Sie das Räthsel: wie es zugeht, daß man für das Palmen-Geschlecht eine gewisse anmuthige Ehrfurcht empfindet, die kaum von einem ästhetischen Wohlgefallen begleitet ist; wie [269] denn ja die europäischen Maler diese Pflanzen nur einzeln, gewissermaßen entstellt heranzogen. Nun haben Sie aber das Eigentliche an Ort und Stelle tief empfunden und uns in den Stand gesetzt, auf's reinste nachzufühlen, was die Natur uns zusagt, und wie, ohne Phantasie und Leidenschaft, durch ein wahrhaftes Anschauen hier ein Höchstes entdeckt und zur Kenntniß gebracht wird. Ungern lege diese Blätter bey, obgleich hoffend, sie bald du durch den Druck vervielfältigt wieder in meinen zu sehen.

Sollten Sie irgend etwas Kurzes Vorläufiges, von welcher Art es sey, dem Publicum mittheilen wollen, so würde Sie ersuchen, dem eben im Druck schwebenden Heft der Morphologie dadurch eine wahre Zierde zu verleihen.

Mehr zu sagen verbietet mir ein immer noch umdüsterter Geisteszustand, in welchem es eine meiner angenehmsten hoffnungsvollsten Aussichten bleibt, an Ihrem immer fortschreitenden wichtigen Bemühen in guten heitern Stunden vollen Theil nehmen zu können.

Hochachtungsvoll gehorsamst

Weimar den 3. December 1823.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1823. An Carl Philipp von Martius. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9EB7-7