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An den Herzog Carl August

Nachrichten von Carlsbad

vom 24. May 1810.


Das erste was in die Augen fällt, wenn man sich Carlsbad nähert, ist die neue Chaussée, die nunmehr oder der Stadt weg angelegt wird. Die Substructionen, Mauern, Böschungen sind von weitem sichtbar. Von dem Flecke an, wo man die Arbeit einige Jahre ruhen ließ, geht sie nunmehr mit gleichem sanften Falle immer weiter, läßt das Wirthshaus links unter sich, sowie von da an alle Äcker, Gärten, Besitzungen, Häuser, welche am Fuß des 3 Kreuzberges [307] liegen. Es versteht sich, daß sie manche davon durchschneidet. eben so bleibt die Andreas Capelle und der Kirchhof links unten. Dann erreicht sie den Galgenberg, wo sie etwa 40 Fuß unter dem ehemaligen Hochgerichte vorbeygeht und dann Zickzack ins Thal gelangt, wo eine neue Brücke über die Töpel am obern Ende der sächsischen Wiese angelegt wird. Alles ist abgedeckt; gebaut aber nur theilweise, zum größten Theil ebauchirt, so daß man nicht mehr aus dem Plane fallen kann, und die Theile können einzeln vollbracht werden. In dessen ist die Arbeit so groß, daß sie unter einem Jahre wohl schwerlich wird zu beendigen seyn.

Die erste Überlegung zu der man sich wendet, wenn man nach Carlsbad kommt, ist sodann das Geld. Die Bankzettel waren bisher immer im Fallen, standen zuletzt in Wien auf 375 für's 100. Wir haben sie sogleich für 362 hier gekauft, welches auch ungefähr der Preis ist, wie sie in Sachsen angeschaft wurden.

Vor einem Jahre standen sie hier schon auf 500, wovon wir auswärts freylich nichts erfahren haben. Dadurch ist eine solche Confusion in die Menschen gekommen, daß die Theurung, selbst gegen Silbergeld gerechnet, zugenommen hat. Wer deswegen Rechnungen von einigen Jahren besitzt, kann sich besser finden, indem er die gegenwärtigen Forderungen gegen den vorigen Curs balancirt, da sich's denn die Leute zuletzt auch gefallen lassen.

[308] Die Quartiere sind durchaus etwas gestiegen. Die Ursache ist wohl, weil die Hausbesitzer vorm Jahre gar keine Einnahme hatten, und dieses Jahr sehr viel Gäste, besonders im July erwartet werden. Wer in diesem Monat ankommt, ohne sich eine Wohnung bestellt zu haben, wird sehr übel fahren.

Daß man zunächst den Sprudel besucht, läßt sich denken. Ich bedaure auf's neue, daß ich vorm Jahre nicht gegenwärtig war, als der letzte Ausbruch geschah; doch habe ich mich mit allen Umständen genau bekannt gemacht. Das Übel wäre so groß nicht, wenn sie sich geschwind zu helfen gewußt hätten, und überhaupt wüßten was sie wollen. Von jeher hat man die Sache ohne eigentliche Übersicht und Einsicht behandelt und diese bedeutende Naturwirkung so in die Enge getrieben, daß sie sich von Zeit zu Zeit gewaltsam Lust machen mußte. Als sich diese letzte Explosion durch bekannte Vorzeichen ankündigte, beging man noch einige Fehler im Augenblicke, wodurch sie sich denn stärker als eine der vorigen manifestirte. Auch nachdem das Unglück geschehen war, ergriff man, wegen Zwiespalt der Meynungen, und der Mannigfaltigkeit der Instanzen, welche auf die Sache Einfluß haben, einzelne, wenig fördernde ja schädliche Behandlungsweisen. Die Bürger, der Amtmann, das Kreisamt, das Gouvernement zu Prag, die von demselben abgesendeten artis periti (welches wie bekannt, in Geschäften immer so viel heißt, als Leute welche die [309] Sache verstehen sollten) die Carlsbader Ärzte, die Ingenieurs und wer nicht alles, hatten Jeder seine Meynung; worunter manches Gute sich fand; keine Vorschläge aber waren zulänglich, noch durchgreifend. Man zersplitterte die Thätigkeit in vielerley Arbeiten, man verzettelte das Geld, sodaß noch jetzt alles in vollem Ruin liegt, einen abscheulichen Anblick macht, und der Sprudel nur mit der größten Unbequemlichkeit genossen werden kann; da nach meiner Einsicht und Überzeugung schon jetzt alles hergestellt, und da a ohnedem alles Bretterwerk ist, recht artig decorirt und bequem seyn könnte.

Da die Gemeinbäder abgetragen sind, so konnte von dem bekannten Saale und der alten Sprudelpromenade an der Platz erweitert und ein sehr schöner Raum eingerichtet werden. Der jetzige Sprudel quillt gegen das letzte Ende der Gemeinbäder, den Fluß hinabwärts gerechnet. Bey einer so wichtigen Sache ist weder an Grundriß, noch Plan, noch Aufriß gedacht worden, und selbst diese große Veränderung hat die Geister aus ihrer alten Beschränktheit nicht herausschütteln können. Ich werde zu meiner eigenen Unterhaltung einen Plan machen, indem vorauszusehen ist, daß bey der obgemeldeten Verschiedenheit der Instanzen, und dem Zwiespalt der Meynungen, nichts Erfreuliches ausgeführt, und von diesem unglücklichen Ereigniß kein glücklicher Gebrauch gemacht wird.

Von den Quellen selbst zu sprechen, so blieb kurz[310] nach der Explosion Anfangs September 1809, der Schloßbrunnen sehr bald auch der Theresienbrunnen aus. Der erste ist noch in demselben Zustande und giebt nur einiges von sich. Den Theresienbrunnen hat man etwa 4 Fuß tiefer wiedergefunden. Er quillt und wird geschöpft, und scheint, seinen Gehalt nach, nunmehr dem Schloßbrunnen völlig ähnlich zu seyn. Der Neubrunn fließt noch ruckweise wie sonst, aus Röhren, aber giebt weniger Wasser und intermittirt. Der Sprudel quillt in einem hölzernen Kasten, der unmittelbar auf den Riß der Decke aufgesetzt ist, gewaltsam herauf und läuft in einer Rinne ab, so daß die Becher untergehalten werden. Es ist ein großer Anblick, diese ungeheure siedende Gewalt zu sehen, die man sonst sehr philisterhaft gezwungen hatte, Männerchen zu machen; woher, genau betrachtet, alles frühere und spätere Unglück gekommen ist. Glücklicherweise sehen dieses diejenigen ein, welche hier in der Sache zu reden und zu wirken haben. Doch hatten sie deshalb mit den höhern Instanzen ihre Noth, welche alles, um der Renommée des Bades willen, in den alten Zustand wollten zurück versetzt haben.

So viel von dieser Angelegenheit über die sich ein ganzer Tractat schreiben ließe. Ich habe einen perspectivischen Umriß der gegenwärtigen Lage des Ganzen aus einem benachbarten Hause gezeichnet, um diese unglaublichen Gräuel der Verwüstung, nicht durch [311] den Sprudel, sondern durch Menschenhände hervorgebracht, zu jedermänniglichem erstaunen, wenigstens auf dem Papiere zu erhalten.

Die neue Johannisbrücke ist gut gebaut, so daß zwey Wagen einander bequem ausweichen können; allein da sie ganz horizontal ist, so fällt die Abfahrt etwas stark gegen den Markt und die Wiese zu. Doch hat man sich so ziemlich zu helfen gewußt, indem man den Boden und die Trittsteine am Meerfräulein her, ja selbst die Schwellen des obern Ecklandes erhöhte.

Noch sind nicht viele Fremden hier, etwa 40. Die Prinzeß Marianne von Sachsen mit ihrem Gefolge, Graf Razoumowsky mit einer sehr schönen Gemalinn, Graf Corneillan mit seiner Familie, Gräfinn Potocka, Stanislaus Gemalinn; und heute zeigte sich der alte bald neunzigjährige Obrist Otto, aus dem siebenjährigen Kriege her wohlbekannt, ein kleiner hagerer Mann, mit einem recht wohl gebildeten Gesichte.

Erwartet wird den 26. die Kaiserinn von Östreich, die sehr krank seyn soll; Prinz Anton von Sachsen und Gemalinn kommen auch zugleich. Es soll eine Illumination Statt finden, und was dergleichen mehr seyn wird. Doch glaubt man nicht, daß sie sich über 14 Tagen aufhalten werden.

N. S. Die Kaiserinn trifft erst Mittwoch den 6. Juny hier ein.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1810. An den Herzog Carl August. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9EB8-5