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An Johann Christian Limprecht

Strasburg am Charfreytag 1770

d. 13 April.

Lieber Limprecht

Ich zweifle nicht einen Augenblick, daß Er jetzo Geld brauchen wird; denn es ist mir heute sehr quer eingefallen, Ihm die Louisd'or zu schicken. Es ist doch mehr als nichts, denk ich, wenn's gleich nicht viel ist; nehm' Er's wenigstens als ein Zeichen an, daß das Vergangne nicht vergessen ist.

Ich bin wieder Studiosus und habe nun, Gott sey Dank, so viel Gesundheit, als ich brauche, und Munterkeit im Ueberfluß. Wie ich war, so bin ich noch, nur daß ich mit unserm Herre Gott etwas besser stehe, und mit seinem lieben Sohn Jesu Christo. Draus folgt denn, daß ich auch etwas klüger bin und erfahren habe, was das heißt: die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang. Freilich singen wir erst das Hosianna dem, der da kommt; schon gut! auch das ist Freude und Glück: der König muß erst einziehn, eh er den Thron besteigt.

[232] Uebrigens wünsche ich zu hören, das sich Ihre Umstände gebessert haben. Sie haben immer viel Last in der Welt gehabt, und noch zuletzt mit Ihren Augen und mir.

Nicht meine Kranckheit meyn' ich; das war ein Liebesdienst und Liebesdienste werden niemals sauer; aber wenn ich mich erinnere, was für ein unerträglicher Mensch ich den letzten ganzen Sommer war, so nimmt mich's Wunder, wie mich jemand hat ertragen können. Doch ich verdiente Mitleiden; ich hatte auch meine liebe Last.

Leben Sie wohl und nehmen Sie den Brief auf, wie ich ihn schreibe und schicke, das heißt: ohne Umstände und mit ganzem Herzen.

Grüßen Sie alle Freunde und seyn Sie der meinige.

Goethe.


Strasburg d. 19. April 1770.

Gestern empfieng ich Ihren lieben Brief vom 28. Merz und also einige Tage nach dem seltsamen Einfall, den ich Ihnen, wie er Charfreytagsnacht mir eingekommen und ausgeführt worden ist, hier überschicke.

Es ist mir lieb zu hören, daß Sie leben und predigen, und wenn Sie sich darauf legen, so müssen Sie sich auch ohne Augen durch die Welt bringen [233] können. Man sagt, Demokrit habe sich geblendet, um durch diesen gefährlichen Sinn nicht zerstreut zu werden, und wahrhaftig, wenn er's thun konnte, so that er nicht unrecht; ich gäbe manchmal was drum blind zu seyn. Und doch, wenn es ist wie es war, daß Sie Dämmerung sehen, wo andre Tag haben, so verliehren Sie nicht viel. Es ist ia doch alles Dämmerung in dieser Welt, ein Bißgen mehr oder weniger, dafür läßt sich Trost finden.

Ich bin anders, viel anders, dafür danke ich meinem Heilande; daß ich nicht bin, was ich seyn sollte dafür danke ich auch. Luther sagt: »Ich fürchte mich mehr für meinen guten Werken als für meinen Sünden«. Und wenn man jung ist, ist man nichts ganz.

Funfzehn Tage bin ich nun hier, und finde Strasburg nicht ein Haar besser noch schlimmer als alles was ich auf der Welt kenne, das heißt sehr mittelmäßig und das doch gewisse Seiten hat, die einen zum Guten und Bösen in Bewegung setzen und aus seiner gewöhnlichen Lage bringen können. – – – – – – –

Adieu. – – –

Goethe. [234]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1770. An Johann Christian Limprecht. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9F45-0