[181] 12/3596.

An Friedrich Schiller

Faust ist die Zeit zurückgelegt worden, die nordischen Phantome sind durch die südlichen Reminiscenzen [181] auf einige Zeit zurückgedrängt worden, doch habe ich das Ganze als Schema und Übersicht sehr umständlich durchgeführt.

Es ist mir sehr lieb daß Sie unsern alten römischen Freund haben persönlich kennen lernen, Sie werden ihn und seine Arbeiten künftig besser verstehen. Man sieht auch bey ihm was bey einem verständigen Menschen eine reiche, beynahe vollständige, Empirie für Gutes hervorbringt. Darinn urtheilen Sie über ihn ganz recht: daß seine logischen Operationen sehr gut von statten gehen, wenn die Prämissen richtig sind; er kommt aber oft in den Fall daß er, wo nicht falsche, doch beschränkte und einseitige Prämissen als allgemeine voraussetzt, da es denn mit dem Schließen nur eine Zeit lang gut geht. So entspringt seine Abneigung gegen Michel Agnolo auch auf einer fixen unhaltbaren Idee, so hat er in dem Aufsatz über Laokoon, den ich hier beylege, gar vielfach recht und doch fällt er im ganzen zu kurz, da er nicht einsieht daß Lessings, Winkelmanns und seine, ja noch mehrere Enunciationen zusammen, erst die Kunst begrenzen. Indessen ist es recht gut, wie er auf's charakteristische und pathetische auch in den bildenden Künsten bringt.

Ich habe bey dieser Gelegenheit mich eines Aufsatzes erinnert, den ich vor mehrern Jahren schrieb, und habe, da ich ihn nicht finden konnte, das Material, dessen ich noch wohl eingedenk bin, nach meiner (und [182] ich darf wohl sagen, unserer) jetzigen Überzeugung zusammengestellt. Vielleicht kann ich es Sonnabend überschicken. Der Hirtische Aufsatz ist eine gute Vorbereitung dazu, da er die neuste Veranlassung gegeben hat. Vielleicht giebt dieses, besonders wenn Meyer mit seinen Schätzen zurückkommt, Anlaß zu mehrerem, so wie ich doch auch gelegentlich wieder an die Peterskirche gehen werde, weil auch diese Abhandlung als Base von so manchem andern betrachtet werden kann.

Das Todtenlied, das hier zurückkommt, hat seinen ächten realistisch humoristischen Charakter, der wilden Naturen, in solchen Fällen, so wohl ansteht. Es ist ein großes Verdienst der Poesie uns auch in diese Stimmungen zu versetzen, so wie es verdienstlich ist den Kreis der poetischen Gegenstände immer zu erweitern. Leben Sie recht wohl, grüßen Ihre liebe Frau und gebrauchen und genießen der Zeit so viel und so gut als möglich ist.

Von Meyer habe ich noch nichts vernommen.

Weimar am 5. Juli 1797.

G.


Wollten Sie mir doch eine Abschrift der Wallensteiner schicken? ich habe sie unsrer Herzogin versprochen, die sich schon mehrmal mit Interesse nach Ihrer Arbeit erkundigt hat.

[183]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1797. An Friedrich Schiller. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9F63-C