29/8206.

An Sulpiz Boisserée

So eben scheidet unser trefflicher Zelter, und ich säume nicht Sie sogleich wieder einmal zu begrüßen. Nur wenige Tage sind alten geprüften Freunden hinreichend, um sich vollkommen wieder zu erkennen und sich auch einmal über den Bestand der menschlichen Dinge zu freuen. Mag doch die Gestalt der Welt vergehen, wenn befreundete Gesinnung sich gleich bleibt; wenn man zu beiden Seiten fortfährt das Gleiche zu lieben und das Gleiche zu hassen; demselben Weg zu folgen, den entgegengesetzten zu meiden. So ging mir's dießmal mit einem alten echten Freunde, möge es mir [324] doch auch wenigstens im nächsten Jahre mit lieben Jüngeren eben so wohl werden.

Das empfohlene Büchlein hat er mir übergeben und ich werde gleich daran gehen, sobald ich wieder zur griechischen Kunstregion zurückkehre, wovon mich gegenwärtig eine doppelte Ferne scheidet.

Einmal die Hof- und Feenwelt, die sich ganz eigens, bey Annäherung hochzufeyrender Gäste in Bewegung setzt; zweitens, die östlichen Räume in denen ich, wie die Beylage besagt, sorgfältig zu pilgern mich wieder entschließen mußte. Schnell genug wird auf diese Weise der Winter vorübergehen. Denn an Zufälligkeiten fehlt es niemals, wodurch alle Zwischenräume von Zeit und alle Reste von Kräften aufgezehrt werden.

Möchten Sie mich zu Weihnachten mit der Nachricht von vollkommen günstiger Erfüllung Ihrer Wünsche und Plane glücklich machen!

Noch muß ich vermelden daß ich in der Zwischenzeit gar manches Schöne theils mir, theils unseren Museen zu eigen gemacht. Von zwey kleinen Statuen sende die Schattenrisse. Die stehende Figur ist von Bronze, unschätzbar an Würde und Großheit; die sitzende von Elfenbein, vielleicht schon aus dem dreyzehnten Jahrhundert zu schätzen. Erstere werden Sie mir gönnen. Letztere wünscht ich Ihnen, läge mir nicht unser Museum so nahe am Herzen, welches nach und nach eine wohl zusammenhängende Reihe[325] solcher Kunstwerke enthält. Von der ältesten byzantinischen Flacharbeit habe drey kostbare Tafeln angeschafft. Sie enthalten in Miniaturschnitt unzählige Heilige reihenweis geordnet.

Nun ereignet sich aber der sonderbare Fall, daß wir keinen geschickten Silhouetteur mehr hier haben, deswegen die gestern Abend unternommenen Schattenrisse nicht communicabel sind, das Blatt jedoch soll nicht liegen bleiben, vielleicht gelingt es ein andermal besser. Den gedruckten Bogen bitte zu secretiren.

Tausend Grüße an die Haus- und Gallerie-Genossen.

Weimar den 31. October 1818.

G.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1818. An Sulpiz Boisserée. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9F64-A