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An Wilhelm von Humboldt

[Concept.]

[16. September.]

Auf Ihren langen und interessanten Brief, für den ich recht lebhaft danke, will ich nur in der Geschwindigkeit einiges erwiedern.

Haben Sie die Güte die Nachricht von den Atheniensischen Basreliefs zu beschleunigen, es ist dieses ein Gegenstand, der mich immer sehr interessirt hat und von dem ich gar gern näher unterrichtet zu seyn wünschte. Sollte es aber möglich seyn, einen Abguß von einem einzigen Reuter und einer einzigen bekleideten Figur zu erhalten, so würden Sie mich [177] äußerst glücklich machen. Man ist in Paris leider überhaupt mit den Kunstwerken nicht sehr sorgfältig, man erlaubt Gemählde durchzuzeichnen u.s.w. Da nun diese Stücke restaurirt werden und also Gips bey der Hand ist beschädigte Dinge vielleicht gar selbst wieder geformt werden, so käme es darauf an, ob man nicht irgend etwas erhaschen könnte. Ja das geringste Fragment würde mir eine außerordentliche Freude machen.

Schreiben Sie nur ja recht viel, ich will es schon zu dechiffriren suchen. Sollte es Ihnen gleich seyn, so wäre Ihre lateinische Hand freylich um einen guten Theil lesbarer.

Ihre Anmerkungen über die französische tragische Bühne geben mir eine sehr lehrreiche Unterhaltung indem ich sie dictire, um in den Propyläen davon Gebrauch zu machen.

Dank sey Ihnen und Ihrer lieben Gattin gesagt für die Beschreibung der beyden Gemählde. Die Franzosen sind doch wunderliche Naturen! Über die gewählten Gegenstände und über die Motive der Ausführung lassen sich sonderbare Bemerkungen machen. Fast keine Spur vom Naiven ist mehr übrig, alles zu einer gewissen sonderbaren gedachten Sentimentalität hinaufgeschraubt. Der Belisar, wie er am Abgrunde steht, ist das Symbol der Kunstweise, die sich auch vom rechten Weg an den Abgrund verloren ha. Schade daß man mit so viel Talent so irren kann.

[178] Haben Sie ja die Güte wenn Ihnen etwas merkwürdiges der Art vorkommt und gönnen mir eine Beschreibung davon.

Den Brief den Sie einem Reisenden mitgaben, habe ich noch nicht erhalten. Vielleicht kommt er bald.

Schiller ist eben hier und legt vielleicht etwas bey. Er hat ein Quartier gemiethet und wird einen heil des Winters hier zubringen. Ich hoffe davon Gutes für ihn, für das Theater und für die Societät.

Daß Fichte von Jena abgegangen ist werden Sie schon wissen. Erst machten sie im philosophischen Journal einen albernen Streich, indem sie einen Aufsatz der nach dem hergebrachten Sprachgebrauch atheistisch genug war, einrückten. Da Fichte nun unrecht hatte wurde er zuletzt auch noch grob gegen das Gouvernement und so erhielt er seinen Abschied. Er hält sich jetzo in Berlin auf.

Übrigens scheint mir aus dieser Schule, wenigstens für die Gegenwart wenig Freude und Nutzen zu hoffen. Diese Herrn kauen sämmtlich ihren eignen Narren beständig wieder, ruminiren ihr Ich. Das mag denn freylich ihnen und nicht andern genießbar seyn.

Kant hat sich nun auch gegen Fichte erklärt und versichert daß die Lehre unhaltbar sey. Darüber ist denn diese Schule auf den alten Herrn äußerst übel zu sprechen.

[179] Herder hat sich in einer Metakritik auch gegen Kanten ausgemacht, wodurch denn, wie billig allerley Händel entstehen.

Viel anderes habe ich nicht zu sagen und Sie sehen wohl daß die Deutschen verdammt sind wie vor alters in den cimmerischen Nächten der Speculation zu wohnen. Wenigstens fällt mir nicht leicht ein Kunstwerk von Bedeutung ein, das in dieser Zeit erschienen wäre. Ich beneide Sie um Ihre Abende im französischen Theater und um den Anblick so manches guten alten und neuen Kunstwerks.

Zu uns verirrt sich allenfalls einmal ein guter geschnittner Stein, an dem Finger eines Reisenden übrigens müssen wir uns mit dem Litterarischen und Historischen begnügen. Ich studire gegenwärtig die Zeit, in welche Winkelmann und Mengs kamen, und die Epoche die sie machten.

Meyer grüßt schönstens, er war diesen Sommer productiver als ich. Unser Schloß, das sich nunmehr dem Ausbau nähert, wird ihm Gelegenheit zu einigen größern Arbeiten geben. Er tat indeß manche artige Zeichnung ausgeführt, zu Begleitung eines und des andern Buches.

Was Sie bey Gelegenheit eines erhöhteren Kunstausdrucks von Voßen und seiner Rhythmik sagen, davon bin ich mehr als jemals überzeugt, nur schade daß ich kaum erleben kann daß die Sache ins Gleiche[180] kommt. Wäre ich 20 Jahre jünger so sollte es an mir nicht fehlen lebhaft mitzuwirken, denn es kommt ja nur darauf an, daß man die Maximen annimmt, sich davon penetrirt sein Studium darauf richtet und in der Ausführung daran fest hält.

Ich habe jetzt mit dem besten Willen die Georgiken wieder angesehen. Wenn man die deutschen Verse liest ohne einen Sinn von ihnen zu verlangen so haben sie unstreitig vieles Verdienst, was man seinen eignen Arbeiten wünschen muß sucht man aber darin den geistigen Abdruck des himmelreinen und schönen Virgils so schaudert man an vielen Stellen mit Entsetzen zurück, ob sich gleich in so fern das Ganze wohl verstanden und manches einzelne auch geglückt ist ein tüchtiger Mann und Meister zeigt.

Auch die Abhandlung über das Versmaß in der Vorrede hat etwas mystisches und ich verstehe sie jetzt noch nicht ganz. Vor 10 Jahren, da das Buch heraus kam, suchte ich mich daraus zu unterrichten und es wollte noch weniger gehen als jetzt.

Wenn wir einmal wieder zusammen kommen, so wollen wir diese Materie recht durcharbeiten und wenn uns die Muse beysteht auch noch etwas zu diesem Entzwecke wirken.

Da ich jetzt meine kleinen Gedichte, zusammen gedruckt, herausgebe, so habe ich Gelegenheit, etwas an den Elegien und Epigrammen zu thun. Es ist mir dabey wirklich angenehm zu sehen, daß ich weiter [181] gekommen bin, wofür ich Ihnen vorzüglich dankbar seyn muß.

Amelie Imhoff hat ein kleines episches Gedicht, die Schwestern von Lesbos, geschrieben, der Gegenstand ist artig die einzelnen Motive meist sehr glücklich das Ganze hat ein blühendes jugendliches Wesen; nur können Sie leicht denken daß die Ausführung etwas locker ist und der rhythmische Theil ist wie natürlich nicht der preiswürdigste.

Indessen steht das Ganze immer auf einer respectablen Stufe, und es will was heißen, daß unsere Weiber sich so ausbilden. Es wird einen Theil des Schillerischen Almanachs ausmachen. Wenn Sie noch länger in Paris bleiben, so schreiben Sie mir doch wie ich es Ihnen ohne daß es zu viel Porto macht, zuschicken kann.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1799. An Wilhelm von Humboldt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9F7C-5