1812, Ende November.


Mit Carl Ludwig von Knebel

[Knebel's in Jena studirender Sohn hatte mit einem andern Studenten, einem vom Herzog unterstützten Grafen, Ehrenhändel gehabt und war deshalb ins Karzer gekommen, was Knebel ihm angeblich feindselig gesinnten Personen zur Last legte. Er erzählt nun weiter:]

Ich .... lief zu Goethe. Er besann sich eine Weile, weil er sagte: diesem schlechten Volke sei nicht zu trauen. Er dictirte mir endlich einen Brief an den Herzog, den er mit dem seinigen begleiten wollte .... Des andern Morgens, als Karl seiner Mutter sagen ließ, er erwarte von ihr seine Erlösung, konnte ich sie nicht mehr halten; sie heulte, sie schrie, sie wolle ihr Kind erretten. Ich mußte ihr erlauben, nach Weimar zu fahren. Der Herzog empfing sie auf's Gutmüthigste und Gnädigste. Sie fuhr gegen Mittag hier ab, und Abends um 6 Uhr war sie schon wieder zurück mit dem Befehl, den Karl loszulassen, wie auch den Grafen. Die Freude hättest Du [Henriette] sehen sollen! Selbst Goethe war wie ein Kind vor Freude .....

Du wirst vielleicht glauben, meine Liebe, ich hätte Dir heute nichts als unglückliche Geschichten zu erzählen. Es ist aber doch nicht ganz so. Mit Recht sagte Goethe: »Gebt nur acht, Kinder! Wo zuweilen das Unglück [47] hereinzukommen droht, da drehet sich oft etwas zum Glück!« So ist es in der That auch hier. Der Herzog hat nicht allein, als meine Frau in Weimar bei ihm war, vieles sich nach unsern Umständen mit großer Güte erkundigt, sondern auch ihr versprochen, für meinen Karl, wenn es Zeit sein würde, zu sorgen. Überhaupt scheint er, wie mir auch Goethe versichert hat, sehr geneigt für uns zu denken ..... Als er [Karl] aus dem Gefängniß kam, gab er mir die [poetischen] Zeilen, die Du hier beigelegt finden wirst, und den andern Tag verfertigte er in der Freude seines Herzens noch mehrere, von denen er noch ein paar hier beigelegt hat. Goethe hat sie gesehen und hat große Freude darüber gehabt. Auch nahm er ihn nun alle Morgen zu sich, dictirte ihm Briefe und dergleichen, um ihn fertiger im Schreiben zu machen. Dieses Zutrauen erweckte den jungen Menschen. Er wollte ihn auch in seinem Gefängniß besuchen. Überhaupt kann ich nicht sagen, welche Liebe und welche zarte Sorgfalt Goethe bei dieser Gelegenheit und während seines ganzen Hierseins – gestern [25. November] ist er wieder abgereist – für mich und die Meinigen bezeugt hat. Er hat auch vorzüglich meinen jähen Eifer zurückzuhalten gesucht, wofür ich ihm danken muß.

[48]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1812. 1812, Ende November. Mit Carl Ludwig von Knebel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9FE1-1