a.

Ich war nicht mehr Student und was already printed, als ich das zweite Mal nach Weimar reiste, um Goethe zu sehen. Ein werther Freund aus Württemberg – er war auch already printed – begleitete mich; er hatte denselben Zweck .... Mein Freund, obgleich Dichter, war doch auch Theolog, – und er ist jetzt [1838] ein sehr würdiger Geistlicher – und als Theolog mochte er nicht dulden, daß der Mensch noch Götter habe neben dem Einen. Er lächelte über meinen Enthusiasmus [bei dem Gedanken, [372] Goethe zu sehen]; er meinte: Goethe sei zwar ein großer Poet, aber doch immer ein Mensch mit sehr vielen Schwächen, und wenn zwar das Verlangen, ihn zu sehen, löblich sei, müsse man doch nicht zittern und beben ....

Wir sandten, in Weimar angelangt, unsere Empfehlungsbriefe in das Goethesche Haus und wurden auf den Nachmittag 5 Uhr, wie man uns vorausgesagt, beschieden .... Es schlug fünf! – Die Pforte öffnete sich .... ›Excellenz werden alsbald erscheinen!‹ sagte der Kammerdiener auf die für uns bereitgestellten Stühle weisend, und wenige Secunden darauf, als habe sie schon hinter der Thür bereit gestanden, trat die Excellenz ein. Von Kopf bis Fuß in glänzendem Schwarz, den großen blitzenden Stern auf der Brust. Wir verbeugten uns tief, wir stammelten einige Silben, die Excellenz erwiederte andere und deutete einladend auf die Stühle .... Die Excellenz spielte, die Hände halb vor sich auf dem Schooße gefaltet, mit den Daumen ein Rad schlagend. Wir saßen ehrfurchtsvoll übergebeugt, um keinen Laut zu verlieren. Unsere Empfehlungsbriefe waren vollgewichtig, die Unterhaltung war sofort eingeleitet und floß in dem ebenmäßigen Gleise fort, wie es unter anständigen Leuten Sitte ist, die sich nichts zu sagen haben.

Ich weiß nicht, ob es schon das Wort Excellenz auf der Lippe des Kammerdieners war, oder der glänzende schwarze Frack, oder der blitzende große Stern, [373] was meinen Zauber mit einem Male verschwinden ließ und mich plötzlich in die baare Wirklichkeit zurückversetzte. Das Herz schlug ganz ruhig, das Fieber war fort; nicht Goethe der Dichter des ›Werther‹, ›Götz‹, ›Faust‹, nicht der Liedersänger war zu uns getreten, sondern Goethe der vornehme Mann gab uns Audienz .... Äußere Vornehmheit mag wohl auf den ersten Moment einschüchtern, kann aber nicht fesseln. Die aufgeregten Geister waren auf mehr vorbereitet; sie ließen sich durch das gebotene Weniger nicht einmal frappiren, und ich war im Moment darauf wieder ein ganz freier Mann; statt verlegen zu sein und hinzuhorchen, wohin der Meister die Unterhaltung leiten dürfte, ergriff ich im Gefühle eines gewissen Übermuthes das Wort und versuchte Wendungen, damit wir mehr erhielten, als man uns geben wollte.

Aber es fruchtete wenig. Vielleicht war auch der Versuch, insofern er ihn gemerkt hat, Goethen nicht gelegen, und er umwickelte noch mehr seine Meinungen, als es vorhin seine Absicht war. Er erkundigte sich, in welchen Kreisen wir in Stuttgart und Berlin lebten, lobte den Herrn v. Cotta und den Herrn v. Varnhagen und sagte, daß letzterer ein sehr respectabler Mann sei und sein Zirkel sehr zu empfehlen. Raumer's ›Hohenstaufen‹ waren eben erschienen; Goethe sagte auf mein Anklopfen: »Diese werden uns für den Winter viel Beschäftigung geben.« Das Theater kam auch an die Reihe; Wolff's Darstellung des König Johann gab [374] zu einem indirecten Complimente für den Mann, welcher uns den großen Künstler gebildet, Anlaß, und ich hörte von Goethe, daß Wolff ein wohlgebildeter, beachtungswerther Künstler sei. Hinsichts jenes Shakespeare'schen Dramas und des ›Standhaften Prinzen‹ von Calderon schien eine Meinung aus den umwobenen Worten herauszublicken, daß nämlich eine Theaterdirection auf realen Begriffe ihres Publicums Rücksicht zu nehmen habe und fremdartige Vorstellungen erst dann wagen dürfe, wenn die Ansichten dafür geebnet seien. Alsdann – meinte ich – käme ›König Johann‹ wenigstens nicht zu früh, da Müllner uns bereits mit den ergreifendsten Auftritten daraus in seinem ›Yngurd‹ handgreiflich genug vertraut gemacht habe. Goethe senkte etwas lächelnd den Blick und meinte: auch dieser Mann habe seine Verdienste, und es sei immer löblich, das Publicum auf diese Art mit werthvollen Werken bekannt zu machen, insofern es noch nicht anderzeit sei, ihm diese Werke selbst vorzuführen.

Wir gingen, nachdem die Thüre hinter uns geschlossen, lange, ohne ein Wort zu sprechen, in derselben Allee auf und ab, die wir vorhin mit bangen Schritten gemessen hatten; von Bangigkeit war nicht mehr die Rede .... Also das war Goethe! ich sprach es aus, oder es stand auf meinem Gesicht zu lesen. Mein Freund lachte laut auf. Ich bat mir seine Meinung aus. – »Nun, er hat mir sehr gefallen, viel mehr, als ich gedacht. Diese herrliche Gestalt, [375] diese offene, mächtige Stirn und vor allem das klare große Auge des alten Mannes! Ich habe ihn ordentlich liebgewonnen und nehme den freundlichsten Eindruck von ihm auf meine Reise mit.« – Das Predigen war nun an ihm, und es gab die besten Texte von überspannten Erwartungen, die allemal trügen, vom selbstgezogenen Nimbus, der für die ächte Verehrung gefährlich sei und von einem Extrem zum andern führe ....

In Wilhelm Hauff's ›Memoiren des Satans‹ wurde ich in der sarkastischen Schilderung des Besuches bei Goethe lebhaft an meinen eigenen erinnert, und ich fand darin sogar Reminiscenzen, welche mir jetzt entfallen sind. Wilhelm Hauff war nicht in Weimar gewesen; er hatte Goethe nicht gesehen; er componirte nach mündlichen Mittheilungen seiner Landsleute, und der Freund, mit dem ich die Rolle des Verzückten nach dem Besuche ausgetauscht, stand dem Seligen nahe im Leben.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1824. 1824, 13. September.: Mit Wilhelm Häring und Karl Grüneisen. 1. a.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A016-6