1830, 18. Februar.


Mit Friedrich von Müller

Er war vom Heimfahren der großherzoglichen Beerdigungs-Equipagen früh nach 5 Uhr geweckt worden, [218] doch ziemlich heiter gestimmt, ja aufgeregter als gewöhnlich. Ich und sein Sohn mußten ihm alle Beerdigungsfeierlichkeiten genau erzählen. Ich eröffnete ihm mein Nekrolog-Vorhaben, das er sehr billigte, und vor allem ein Schema aufzusetzen anrieth. Nicht allzu liberal dürfe man die Fürstin schildern; sie habe vielmehr standhaft an ihren Rechten gehalten. Ihre gesellige Herablassung sei mehr das Auslaufen ihrer Standesrichtung gewesen. Ihr Mißverhältniß zur Schwiegermutter, ja zur Tochter sei als Naturerscheinung der Weiblichkeit anzusehen, unwillkürlich gewesen. Im Französischen habe man ein Sprichwort: Schwiegermütter von Zucker gebacken, schmecken dennoch bitter. Bei ihrer Lebensschilderung gelte es de voir venir son caractère (sie herankommen zu sehen).

Er erzählte vom Verbrennen aller seiner Briefe bis 1786, als er nach Italien zog. Es lerne ja doch Niemand viel aus alten Briefen, man werde nicht klüger durch antécédents.

Was gut in den Briefen gewesen, habe seine Wirkung schon auf den Empfänger und durch ihn auf die Welt schon vollendet; das Übrige falle eben ab wie taube Nüsse und welke Blätter.

Alles käme darauf an, ob Briefe aufregend, productiv, belebend seien.

Rochlitzens Briefe, wie schön und lieb auch, förderten ihn doch niemals, sie seien meist nur sentimental. Bestimmte einzelne Mittheilungen der durch die[219] Wanderjahre empfangenen Eindrücke habe Rochlitz verweigert, statt dessen die alberne Idee gefaßt, das Ganze systematisch construiren und analysiren zu wollen. Das sei rein unmöglich, das Buch gebe sich nur für ein Aggregat aus.

Lange war er nicht so lebhaft und traulich sich aussprechend, so bündig, belehrend und anregend, wie heute. Von seiner Jugend sagte er: »Ich war ein leidlicher Kerl, ließ mich auf keine Klatschereien ein, stand Jedem in guten Dingen zu Diensten, und so kam ich durch.«

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1830. 1830, 18. Februar. Mit Friedrich von Müller. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A02E-1