1827, 25. August.


Mit Gustav Parthey

Nach einem beträchtlichen Umwege gelangte ich endlich an das Haus und stieg die flachen Treppen, die ich aus Zelter's Beschreibung schon kannte, nicht ohne Herzklopfen hinan. Oben fand ich einen Diener, der mich in einen geräumigen Saal führte und Zelter's Brief nebst meiner Karte nach Goethes Zimmer trug. Nicht lange war ich allein, da öffnete sich die Thür und er trat mit freundlich ernster Miene herein. Wir setzten uns und er begann: »Mein Freund Zelter schreibt mir, daß Sie den Orient besucht haben; von wo aus haben Sie die Reise begonnen?« – Zunächst von Malta aus, nachdem ich vorher Italien und Sicilien gesehn. – »Bleiben wir vorläufig bei Malta stehn. Dieser dürre Kalkfelsen zwischen Sicilien und Afrika muß einen eigenthümlichen Character haben.«

Hierüber konnte ich nun ausführlich berichten, da ich in Malta zwei Monate auf eine Schiffsgelegenheit nach Alexandrien warten mußte. Die merkwürdig feste [175] Lage von Lavaletta mit ihren vielen trefflichen Häfen, die seltene Fruchtbarkeit im Innern, die eigent hümliche Seesalzbereitung, die Mischung der Sprache aus italienischen und arabischen Elementen, der klägliche Fall des Malteserordens im Jahre 1798 – das alles wurde mit größtem Bedachte, aber in der eingehendsten Weise besprochen. Überall trafen seine Fragen den Punkt, worauf es ankam, und eine große, ruhige Weltanschauung leuchtete aus den einzelnen Bemerkungen. Wohl hatte ich mir aus Zelter's Gesprächen einen gewaltigen Goethe construirt, aber die Wirklichkeit übertraf alles Gedachte und Eingebildete. Der sonore Baß seiner Stimme hatte noch mit 78 Jahren eine ungemeine Weichheit und war der feinsten Modulationen fähig. Bei aller innerlichen Freude über mein Glück ließ ich mich nicht von unnöthiger Redseligkeit hinreißen... Auch wußte ich wohl, daß es für das größte Laster gilt, einen Besuch, und besonders einen ersten Besuch, über die Gebühr zu verlängern. Daher wartete ich bei jedem schicklichen Abschnitte auf ein Zeichen zum Aufbruche und auf den vornehmen Entlassungsbückling. Aber es kam ganz anders und über alle meine Erwartung.

Das Gespräch über Malta ging seinen ununterbrochenen Gang; manchmal kam es mir wie ein Examen vor. In Lavaletta hatte ich täglich mehrere Stunden auf der öffentlichen Bibliothek zugebracht und mich etwas in der Literatur umgesehn. Der gelehrte Bibliothekar [176] Dr. Bellanti war mein erster Lehrer im Arabischen und machte mich auf die wichtigsten Werke aufmerksam; daher konnte ich über das meiste guten Bescheid geben und bestrebte mich, der klaren Präcision der Fragen auch in den Antworten nahe zu kommen. – Endlich erhob sich Goethe und ich schickte mich zum Abschiede an. »Wir haben« – sagte er mit der größten Freundlichkeit – »noch so viel über Ihre orientalische Reise zu sprechen, daß ich Sie bitte, solange Sie bei uns verweilen, alle Tage bei mir zu Mittag zu essen. Wenn Sie heute um 2 Uhr sich einfinden wollen, so wird mir dies sehr angenehm sein.«

.... Ich .... war zur bestimmten Zeit wieder bei Goethe; ich fand seinen Sohn, den Kammerjunker, und dessen Frau, den Kunst-Meyer und Dr. Eckermann, die.. Räthe Töpfer und Conta. Frau v. Goethe machte die angenehmste Wirthin und wies mir meinen Platz zwischen ihrem Manne und ihrem Schwiegervater an. Anfangs drehte sich das Gespräch um Tagesneuigkeiten und Alltagsgeschichten, die der Kammerjunker mit großer Emphase vortrug. Der alte Herr hielt sich still, und wenn er zuweilen einen Brocken mit hineinwarf, so zeigte sich immer der richtigste gesunde Menschenverstand und die praktische Lebensweisheit einer ruhigen Überlegung. Er fragte mich nach den Berliner Zuständen, nach seinem Freunde Zelter, nach dem Theater und andern gleichgültigen Dingen.

[177] Gegen das Ende der Mahlzeit sagte er mir: »Mit welchem Schiffe haben Sie Ihre Reise von Malta fortgesetzt?« Ich erwiederte, daß im Anfange des Herbstes die dalmatinischen Fahrzeuge, welche nach Ägypten gehn, um Korn zu holen, gern in Malta anlegen, um englische Manufacturwaaren einzunehmen, die nicht bloß nach Ägypten, sondern auch nach den ostindischen Besitzungen der Engländer verführt werden. Auf einer solchen Brigg aus Ragusa hätte ich die Fahrt in zehn Tagen zurückgelegt. – Nun war das Reisegespräch wieder in Gang gebracht und wurde von ihm im Flusse erhalten. Man sah, daß er sich vorgesetzt hatte, von den Ereignissen meiner levantinischen Wanderung ganz nach der Reihe und Schritt vor Schritt Kenntniß zu nehmen. Einzelne desultorische Fragen seines Sohnes, der bald von den Moscheen in Konstantinopel, bald von den Pyramiden bei Memphis etwas wissen wollte, machten den alten Herrn gar nicht irre, und da ich seine Absicht bald merkte, so kehrte ich immer gleich in die rechte Ordnung, zurück .....

Die großartigen Unternehmungen des Pascha Mehmed Ali, des kühnen Regenerators von Ägypten, fanden Goethes vollste Anerkennung, wogegen der Kammerjunker sich an der mörderischen Vertilgung der Mamlucken: auf der Citadelle von Kairo ergötzte. – Dann ging es in bequemer Nilfahrt bis zur Katarakte von Wadi-Halfa und auf Kameelen bis nach Dongola, wo das [178] südliche Kreuz hochaufgerichtet am nächtlichen Firmamente leuchtet, und wo die von.. Ehrenberg erbaute Citadelle der südlichste Punkt (+ 18º N. Br.) meiner Wanderung war.

Das Mahl verlängerte sich auf diese Weise bis 6 Uhr, wo wir nilabwärts bis zur reizenden windstillen Nilinsel Philä mit ihren zierlichen Tempeln und der unvergleichlichen Pracht ihres Abendhimmels zurückgekehrt waren. Beim Abschied bat ich um die Vergunst, morgen und übermorgen nicht kommen zu dürfen, weil ich nach Jena hinüberfahren wollte, um die dortige Bibliothek kennen zu lernen, aber am 28sten würde ich nicht verfehlen, meinen Glückwunsch zu dem festlichen Tage darzubringen. .....

Der alte Herr trug mir einen herzlichen Gruß an seinen Freund Knebel auf, an dem ich »einen ganz jungen Mann von 83 Jahren« finden werde, der zwar schon von 1763-73 in Potsdam als Officier gestanden, aber kürzlich erst sich verheirathet habe und Vater von zwei muntern Knaben sei.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1827. 1827, 25. August. Mit Gustav Parthey. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A041-4