1806, Anfang October.


Mit einem preußischen Artillerieoffizier. 1

Er [Goethe] nahm mich mit der früheren alten Freundschaft und Herzlichkeit auf, lud mich auch zu Tische, und wir plauderten viel von den im Feldzug von 1792 in Frankreich und dann bei der Belagerung von Mainz gemeinschaftlich bestandenen Abenteuern. Im übrigen fand ich Goethe in einer sehr sorgenvollen, gedrückten Stimmung, wozu er als Minister des Herzogthums Weimar freilich auch alle Ursache hatte. Er war ein zu klarer Kopf und besaß eine zu gereifte Menschenkenntniß, als daß er sich die ungemein vielen Gebrechen und Schwächen aller Art, die sich in unserem ganzen Heere und besonders in der obersten Leitung [295] zeigten, nur im Allermindesten verhehlen konnte. So hegte er denn nichts wie Angst und Besorgniß vor dem Ausgang dieses Krieges und prophezeite uns ein schlimmes Ende, worin ich ihm als preußischer Offizier natürlich mit aller Entschiedenheit zu widersprechen für meine Pflicht hielt, obgleich ich in meinem Innern leider manche seiner Befürchtungen nur zu sehr theilte. Daß sich jetzt der Kriegsschauplatz in das Gebiet des Herzogthums Sachsen-Weimar hingezogen hatte, mußte Goethen als Minister dort sehr unangenehm sein; denn nicht allein, daß er selbst viel Plage und Arbeit dadurch hatte, so litt das Land ganz ungemein. Wenn auch die Disciplin in unserem Heere bis jetzt noch sehr strenge gehandhabt wurde, so war es doch nicht zu vermeiden, daß Unordnungen und Excesse in Menge vorkamen .... Alle diese vielen Plagen und Scherereien der verschiedensten Art... mochten ebenfalls wohl viel mit dazu beitragen, daß sein Unmuth über diesen ganzen Krieg und besonders auch die Art und Weise, wie solcher bisher von uns geführt wurde, ein so überaus heftiger war, daß er ganz nie Ruhe und Würde, die ihm sonst stets in so hohem Grade innewohnte, darüber vergaß. Besonders hart tadelte er auch, daß wir nicht die Feinde in der Gegend südwärts des Thüringer Waldes selbst angriffen, statt, wie es jetzt den Anschein hatte, uns nordwärts davon von ihnen angreifen zu lassen. So glaube ich, daß der Einfluß Goethes wirklich dabei mit im Spiel gewesen ist, daß [296] der Herzog Karl August von Sachsen-Weimar, der wieder in active preußische Dienste getreten war, es durchzusetzen vermochte, daß er mit einem auserlesenen Corps von zehntausend Mann Infanterie und Artillerie... über den Thüringer Wald gesandt wurde, um dem Feind, den wir damals noch immer zwischen Koburg und Bamberg vermutheten, in die Flanke zu fallen.


Note:

1 Vergl. Nr. 1453 und 1454.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1806. 1806, Anfang October. Mit einem preußischen Artillerieoffizier. 1. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A064-7