1795, zwischen 6. und 9. November.


Mit Friedrich Schiller

Goethe ist seit dem 5. hier und bleibt diese Tage noch hier, um meinen Geburtstag mit zu begehen. Wir sitzen von Abend um 5 Uhr bis Nachts 12, auch 1 Uhr [177] beisammen und schwatzen. Über Baukunst, die er jetzt als Vorbereitung auf seine italienische Reise treibt, hat er manches Interessante gesagt, was ich mir habe zueignen können. Sie [Humboldt] kennen seine solide Manier, immer von dem Object das Gesetz zu empfangen und aus der Natur der Sache heraus ihre Regeln abzuleiten. So versucht er es auch hier, und aus den drei ursprünglichen Begriffen – der Base, der Säule (Wand, Mauer und dergleichen) und dem Dach, nimmt er alle Bestimmungen her, die hier vorkommen. Die Absurditäten in der Baukunst sind ihm nichts als Widersprüche mit diesen ursprünglichen Bestimmungen der Theile. Von der schönen Architektur nimmt er an, daß sie nur Idee sei, mit der jedes einzelne Architekturwerk mehr oder weniger streite. Der schöne Architekt arbeitet wie der Dichter für den Ideal-Menschen, der in keinem bestimmten, folglich auch keinem bedürftigen Zustand sich befindet, also sind alle architektonische Werke nur Annäherung zu diesem Zwecke, und in der Wirklichkeit läßt sich höchstens nur bei öffentlichen Gebäuden etwas Ähnliches erreichen, weil hier auch jede einschränkende Determination wegfällt und von den besondern Bedürfnissen der einzelnen abstrahirt wird. Sie können wohl denken, daß ich ihn bei dieser Idee, die so sehr mit unseren [Schiller-Humboldtischen] Begriffen zusammenstimmt, festgehalten und weiter damit zu kommen gesucht habe. Ich glaube, man kann den Zweck der Baukunst als schöner Kunst objectiv ganz füglich [178] so angeben, daß Sie in jedem besonderen Gebäude den Gattungsbegriff des Gebäudes überhaupt gegen den Ortbegriff zu behaupten sucht, wodurch sie dann subjectiv den Menschen aus einem beschränkten Zustand zu einem unbeschränkten (der doch wieder durchaus auf Gesetze gegründet ist) führt und ihn folglich ästhetisch rührt.

Goethe verlangt von einem schönen Gebäude, daß es nicht bloß auf das Auge berechnet sei, sondern auch einem Menschen, der mit verbundenen Augen hindurchgeführt würde, noch empfindbar sein und ihm gefallen müsse.

Daß von seiner Optik und seinen naturhistorischen Sachen auch viel die Rede sei, können Sie leicht denken. Da er letztere gerne vor seiner italienischen Reise (die er im August 1796 anzutreten wünscht) von der Hand schlagen möchte, so habe ich ihm gerathen, sie in einzelnen Aufsätzen in seiner darstellenden Manier zu den »Horen« zu geben. Ohnehin ist sonst nicht viel von ihm für das folgende Jahr zu hoffen.

Wir haben dieser Tage auch viel über griechische Literatur und Kunst gesprochen.

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Ihren Brief an Hellfeld [wegen Überlassung von Humboldt's Wohnung an Goethe] habe ich noch nicht abgegeben. Goethe will sich erst noch besinnen; denn er hat einen neuen Bedienten, der ihn noch nicht recht zu besorgen weiß, und trennt sich deswegen nicht gern [179] vom Schloß, wo ihn Trapizius, der Schloßvoigt bedient. Die Ilgen, die er neulich sah, gefiel ihm sehr wohl, wie es schien, und ich merkte wohl, daß er nachher mehr Lust zu Ihrem Logis hatte; wie er aber hörte, daß sie in Ihren Namen und in Ihre Tugend verliebt sei, so wurde vom Logis nicht mehr gesprochen.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1795. 1795, zwischen 6. und 9. November. Mit Friedrich Schiller. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A076-0