1783, 9. Februar.


Mit Johann Gottfried Herder

Bei der Predigt am Geburtsfest [des Erbprinzen Karl Friedrich] 1 hat sich unmittelbar nach dem Amen folgender Dialogus in der Kirche, in dem sogenannten Rathsstande zugetragen:

Goethe: Was denkst Du zu der Predigt?

Wieland: (wie er wenigstens sagt:) Nun, es war eine wackre Predigt.

Goethe: Er hat doch aber so eine harte Manier, die Sachen zu sagen. Nach solcher Predigt bleibt einem Fürsten nichts übrig als abzudanken.

(Ergreift seinen Hut und geht still aus der Kirche.)

Zweiter Dialogus bei der Herzogin Mutter.

Sie: Was denken Sie von der heutigen Predigt?

(Wieland ohngefähr wie oben.)

Sie: Mich dünkt aber, daß Sie doch vor diesen Tag unerwartet war: beim Regierungsantritt oder solchen Tagen könnte sie wohl gehalten werden.

Wieland: Je nun! weil der Herzog sonst nicht in die Kirche kommt, so hat Herder vermuthlich den Augenblick ergriffen, da er ihn hatte.

Sie: Er sollte freilich mehr in die Kirche gehen etc.

[72] Dritter Dialogus. Abends im großen Saal bei Hofe.

Herzog: Sind Sie heut in der Kirche gewesen?

Wieland: Ja, Euer Durchlaucht.

Herzog: Wie hat Ihnen die Predigt gefallen?

Wieland: (wie oben.)

Herzog: Ich weiß doch aber nicht, was die Leute bei einem Kind für erstaunende Hoffnungen haben. Es ist doch nur ein Kind.

Wieland: Aus dem indessen Alles werden kann und da hofft jeder, daß das Beste aus ihm werde.

Herzog: Übrigens war die Predigt ganz ohne Piques (das ist ein Lieblingswort hier).

Wieland: O ganz ohne Piques: sie war, dünkt mich, so rein wie sie von der Kanzel kommen mußte.

Herzog: Es war eine brave Predigt.

Dies ist, was der Hofpoet in einer Ergießung seiner guten Laune und neuen Freundschaftswärme erzählte, dazu ihn vor wenigen Wochen ein Genius in der Nacht ermahnt hat. Ich muß Ihnen doch auch diesen Traum hersetzen:

»Mich dünkte, ich stand bei einem Concert am Hofe im Saal an der Wand und hörte. Herder so angekleidet, wie er bei Hofe erscheint (d.i. in Mantel und Kragen), tritt vor mich und sieht mich mit sehr ruhigem, guten Blick an. Mir war das fatal; denn ich hatte mir fest vorgenommen, gar nicht mehr an Sie beide zu denken« .....


Note:

1 Gedruckt in Herder's »Christlichen Reden und Homilien« III. Theil (»Zur Religion u. Theologie« X, Theil) 1828. S. 53 ff.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1783. 1783, 9. Februar. Mit Johann Gottfried Herder. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A106-2