1817, zwischen 22. März und 8. August.


Mit Friedrich Wilhelm Krummacher

Voran stehe die Begegnung mit unserm Dichterfürsten Goethe. Es war im Jahre 1817, als ich mit diesem in heroischer Gestalt vor mir stehenden Manne eine längere freundliche Unterhaltung hatte. – Als damaliger Student machte ich vom Turnplatze aus in meinem Turnergewande einen einsamen Spaziergang dem Berge zu, welcher »die Goethesruhe« genannt wurde, und erblickte am Fuße desselben die Equipage der Excellenz. Obwohl ich dieselbe öfter schon von ferne erblickt hatte, war es mir doch interessant, ihn im Vorbeigehen näher anzuschauen und ihm meinen Gruß zu entbieten. Letzteres geschah in aller Ehrerbietung, aber vorbeigehen sollte ich nicht. »So eilig?« war die freundliche Anrede. Ich blieb stehen, die schwarzrothgoldene [283] Burschenschaftsmütze in der Hand. »Bedecken Sie sich,« hieß es. »Sie kommen vom Turnplatz?« Auf meine bejahende Antwort erwiderte er: »Die Turnerei halte ich werth; denn sie stärkt und erfrischt nicht nur den jugendlichen Körper, sondern ermuthigt und kräftigt auch Seele und Geist gegen Verweichlichung.« Darauf fragte er nach meinem Namen und als ich ihm denselben nannte, sagte er mir: »Ihr Name ist mir wohlbekannt. Ist vielleicht der Verfasser der Parabeln Ihnen verwandt?« Und als ich erwiderte: »Derselbe ist mein Vater, Excellenz!« da sprach er das mich hoch erfreuende Urtheil: »Diese tiefen Dichtungen sind nach Inhalt und Form klassisch und überstrahlen die Herder'schen. – Was studiren Sie?« fragte er weiter. »Theologie, Excellenz.« Er: »Da werden Sie sehr viel zu studiren haben. Gefällt es Ihnen denn in Jena?« – »Natur und Wissenschaft bieten vieles, aber auch unsere Verbindung, die Burschenschaft, die von einem patriotisch-sittlichen Geist durchweht ist.« Er: »Aber herrschen in derselben nicht auch extreme Richtungen?« Ich: »Es mag das bei einzelnen der Fall sein, aber sie haben durchaus keine gefährliche Tendenz.« Er: »Also die Natur gefällt Ihnen hier? Sie gefällt auch mir. Schauen Sie nur das Panorama an, welches von diesem Hügel sich darstellt als ein harmonisches Ganze: dort im Thale die Stadt mit der Saale, rings von Bergen umgeben, und südwärts die Burg, romantisch hervorragend. Sie thun wohl, [284] wenn Sie sich neben der Wissenschaft der Natur erfreuen. Wenn Sie aber an Ihren Vater schreiben, so bitte ich, ihn von mir hochachtungsvoll zu grüßen.« – »Das wird meinem Vater,« erwiderte ich, »ein werthvoller Gruß sein, für den ich auch Ew. Excellenz herzlich danke.« – Darauf reichte er mir mit den Worten: »Ich wünsche Ihren Studien den besten Erfolg!« die Hand, und so nahm ich von dem freundlichen Herrn Abschied.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1817. 1817, zwischen 22. März und 8. August. Mit Friedrich Wilhelm Krummacher. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A10A-9