1831, 1. December.


Mit Johann Peter Eckermann

Ein Stündchen bei Goethe in allerlei Gesprächen. Dann kamen wir auch auf Soret.

»Ich habe,« sagte Goethe, »in diesen Tagen ein sehr hübsches Gedicht von ihm gelesen, und zwar eine Trilogie, deren beide ersten Theile einen heiter ländlichen, der letzte aber, unter dem Titel ›Mitternacht‹, einen schauerlich-düstern Charakter trägt. Diese ›Mitternacht‹ ist ihm ganz vorzüglich gelungen. Man athmet darin wirklich den Hauch der Nacht, fast wie in den [114] Bildern von Rembrandt, in denen man auch die nächtliche Luft zu empfinden glaubt. Victor Hugo hat ähnliche Gegenstände behandelt, allein nicht mit solchem Glück. In den nächtlichen Darstellungen dieses unstreitig sehr großen Talents wird es nie wirklich Nacht, vielmehr bleiben die Gegenstände immer noch so deutlich und sichtbar, als ob es in der That noch Tag und die dargestellte Nacht bloß eine erlogene wäre. Soret hat den berühmten Victor Hugo in seiner ›Mitternacht‹ ohne Frage übertroffen.«

Ich freute mich dieses Lobes und nahm mir vor die gedachte Trilogie von Soret baldmöglichst zu lesen. »Wir besitzen in unserer Literatur sehr wenige Trilogien,« bemerkte ich.

»Diese Form,« erwiederte Goethe, »ist bei den Modernen überall selten. Es kommt darauf an, daß man einen Stoff finde, der sich naturgemäß in drei Partien behandeln fasse, sodaß in der ersten eine Art Exposition, in der zweiten eine Art Katastrophe, und in der dritten eine versöhnende Ausgleichung stattfinde. In meinen Gedichten vom Junggesellen und der Müllerin finden sich diese Erfordernisse beisammen, wiewohl ich damals, als ich sie schrieb, keineswegs daran dachte eine Trilogie zu machen. Auch mein ›Paria‹ ist eine vollkommene Trilogie, und zwar habe ich diesen Cyclus sogleich mit Intention als Trilogie gedacht und behandelt. Meine sogenannte ›Trilogie der Leidenschaft‹ dagegen ist ursprünglich nicht als Trilogie concipirt, [115] vielmehr erst nach und nach und gewissermaßen zufällig zur Trilogie geworden. Zuerst hatte ich, wie Sie wissen, bloß die ›Elegie‹ als selbständiges Gedicht für sich. Dann besuchte mich die Szymanowska, die denselbigen Sommer mit mir in Marienbad gewesen war und durch ihre reizenden Melodien einen Nachklang jener jugendlich-seligen Tage in mir erweckte. Die Strophen, die ich dieser Freundin widmete, sind daher auch ganz im Versmaaß und Ton jener ›Elegie‹ gedichtet und fügen sich dieser wie von selbst als versöhnender Ausgang. Dann wollte Weygand eine neue Ausgabe meines ›Werther‹ veranstalten und bat mich um eine Vorrede, welches mir denn ein höchst willkommener Anlaß war, mein Gedicht ›An Werther‹ zu schreiben. Da ich aber immer noch einen Rest jener Leidenschaft im Herzen hatte, so gestaltete sich das Gedicht wie von selbst als Introduction zu jener ›Elegie‹. So kam es denn, daß alle drei jetzt beisammenstehenden Gedichte von demselbigen liebesschmerzlichen Gefühle durchdrungen worden und jene ›Trilogie der Leidenschaft‹ sich bildete, ich wußte nicht wie.

Ich habe Soret gerathen, mehr Trilogien zu schreiben, und war soll er es auch machen, wie ich eben erzählt. Er soll sich nicht die Mühe nehmen, zu irgend einer Trilogie einen eigenen Stoff zu suchen, vielmehr soll er aus dem reichen Vorrath seiner ungedruckten Poesien irgend ein prägnantes Stück auswählen und gelegentlich eine Art Introduction und versöhnenden[116] Abschluß hinzudichten, doch so, daß zwischen jeder der drei Productionen eine fühlbare Lücke bleibe. Auf diese Weise kommt man weit leichter zum Ziele und erspart sich viel Denken, welches bekanntlich, wie Meyer sagt, eine gar schwierige Sache ist.«

Wir sprachen darauf über Victor Hugo, und daß seine zu große Fruchtbarkeit seinem Talente im hohen Grade nachtheilig.

»Wie soll einer nicht schlechter werden und das schönste Talent zu Grunde richten,« sagte Goethe, »wenn er die Verwegenheit hat, in einem einzigen Jahre zwei Tragödien und einen Roman zu schreiben, und ferner, wenn er nur zu arbeiten scheint um ungeheuere Geldsummen zusammenzuschlagen. Ich schelte ihn keineswegs, daß er reich zu werden, auch nicht, daß er den Ruhm des Tages zu ernten bemüht ist, allein wenn er lange in der Nachwelt zu leben gedenkt, so muß er anfangen weniger zu schreiben und mehr zu arbeiten.«

Goethe ging darauf die ›Marion de Lorme‹ durch und suchte mir deutlich zu machen, daß der Gegenstand nur Stoff zu einem einzigen guten und zwar recht tragischen Act enthalten habe, daß aber der Autor durch Rücksichten ganz secundärer Art sich habe verführen lassen, seinen Gegenstand auf fünf lange Acte übermäßig auszudehnen. »Hierbei« – fügte Goethe hinzu – »haben wir bloß den Vortheil gehabt, zu sehen daß der Dichter auch in Darstellung des Details bedeutend ist, welches freilich auch nichts Geringes und allerdings etwas heißen will.«

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1831. 1831, 1. December. Mit Johann Peter Eckermann. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A135-7