1830, 7. April.


Mit Friedrich von Müller

Nur eine Stunde bei ihm. Wir sprachen von der Idee, alte fürstliche Frauenbilder in der Bibliothek an die Stelle der Gelehrten-Portraits aufzuhängen. Färber's von Jena anfängliche Gegenwart gab zu der Äußerung Anlaß: »Niemand weiß es genug zu schätzen, was man mit Leuten ausrichten kann, die an uns heraus gekommen sind, sich eine lange Jahresreihe hindurch an uns fortgebildet haben.«

Nun fiel das Gespräch auf Männer-Liebe und Johannes Müller.

Er entwickelte, wie diese Verirrung eigentlich daher komme, daß nach rein ästhetischem Maßstabe der Mann immerhin weit schöner, vorzüglicher, vollendeter wie die Frau sei. Ein solcher einmal entstandenes Gefühl schwenke dann leicht ins Thierische, grob Materielle hinüber. Die Knabenliebe sei so alt wie die Menschheit, und man könne daher sagen, sie liege in der Natur, ob sie gleich gegen die Natur sei.

Was die Cultur der Natur abgenommen habe, dürfe man nicht wieder fahren lassen, es um keinen Preis aufgeben. So sei auch der Begriff der Heiligkeit der Ehe eine solche Cultur-Errungenschaft des Christenthums und von unschätzbarem Werth, obgleich die Ehe eigentlich unnatürlich sei.

[294] »Sie wissen, wie ich das Christenthum achte, oder sie wissen es vielleicht auch nicht; wer ist denn noch heut zu Tage ein Christ, wie Christus ihn haben wollte? Ich allein vielleicht, ob ihr mich gleich für einen Heiden haltet. Genug dergleichen Culturbegriffe sind den Völkern nun einmal eingeimpft und laufen durch alle Jahrhunderte; überall hat man vor ungeregelten, ehelosen Liebesverhältnissen eine gewisse unbezwingliche Scheu, und das ist recht gut. Man sollte nicht so leicht mit Ehescheidungen vorschreiten.

Was liegt daran, ob einige Paare sich prügeln und das Leben verbittern, wenn nur der allgemeine Begriff der Heiligkeit der Ehe aufrecht bleibt. Jene würden doch auch andere Leiden zu empfinden haben, wenn sie diese los wären.«

Er lobte den Prinzen August von Gotha und Grimm. Jener erzählte oft von einem eigensinnigen, absurden, alten Herzog von Sachsen 1, daß er, als man ihm einstmal dringende Vorstellungen gethan, er möge doch sich bedenken, besinnen etc. geantwortet: »Ich will nichts bedenken, nichts überlegen, wozu wäre ich denn sonst Herzog von Sachsen?« Prinz August hatte große Geduld mit mir, ich war oft gar zu verrückt, mitunter freilich aber auch ganz leidlich.


Note:

1 Nach einem Briefe Karl August ist Prinz Ludwig Ernst von Gotha, geb. 28. Dec. 1707, General-Lieutenant im Münsterschen Dienste, † 13. Aug. 1763, gemeint.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1830. 1830, 7. April. Mit Friedrich von Müller. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A151-9