1827, 28. August.


Mit Eduard Gans

[Gans war am Vormittage in Goethes Haus gekommen, als gerade König Ludwig I. von Bayern eingetroffen war, um selbst Goethen das Großkreuz des Michaelsordens zu überbringen, und hatte sich bei der dadurch entstandenen Aufregung und bei der [179] großen Zahl zum Geburtstage aufwartender Personen unbemerkt wieder entfernt, war aber auf Veranlassung v. Müller's nachher nochmals zu Goethe gegangen.]


Ich wurde ohne die geringste Schwierigkeit angenommen, und da alle Gratulanten sich bereits entfernt hatten, so wurde mir das Glück zutheil, mich mit Goethe ungefähr eine halbe Stunde lang in einem kleinen Cabinette unterhalten zu dürfen. Das Gespräch betraf die Berliner Universität, die Neigung für philosophische Studien auf derselben, die Wirksamkeit, welche Hegel fortwährend daselbst ausübe, und endlich die ›Jahrbücher [für wissenschaftliche Kritik]‹, welche Goethe zu interessiren schienen. Er meinte, wenn die Philosophie es sich zur Pflicht mache, auch auf die Sachen und Gegenstände, welche sie behandeln, Rücksicht zu nehmen, so dürfte sie um so wirksamer werden, je mehr sie freilich auch mit den Empirikern zu thun bekomme; nur werde immer die Frage entstehen, ob es zugleich möglich sei, ein großer Forscher und Beobachter und auch ein bedeutender Verallgemeinerer und Zusammenfasser zu sein. Es zeige sich namentlich jetzt an Cuvier und Geoffroy de St. Hilaire, daß diese Eigenschaften in der Regel ganz verschiedenen Menschen zutheil würden. Er traue Hegel zwar sehr viele Kenntnisse in der Natur wie in der Geschichte zu, ob aber seine philosophischen Gedanken sich nicht immer nach den neuen Entdeckungen, die man doch stets machen würde, modificiren müßten, und dadurch [180] selber ihr Kategorisches verlören, könne er zu fragen doch nicht unterlassen. Ich erwiederte, daß eine Philosophie ja gar nicht darauf Anspruch mache, für alle Zeiten eine Gedankenpresse zu sein, daß sie nur ihre Zeit vorstellen und daß mit den neuen Schritten, welche die Geschichte und die mit ihr gehenden Entdeckungen machen würden, sie auch bereit sei, ihr Typisches in flüssige Entwickelung zu verwandeln. Diese Bescheidenheit des philosophischen Bewußtseins schien Goethe zu gefallen, und er kam nunmehr auf die ›Jahrbücher‹. Ihm mißfiel eine gewisse Schwerfälligkeit und Weitläuftigkeit, welche in den einzelnen Abhandlungen läge; er tadelte meine Recension über Savigny's ›Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter‹ aus dem Gesichtspunkte, daß ich den Autor nöthigen wollte, etwas anderes zu thun, als er im Sinne habe, aber mit dem Brechen der Anonymität war er ganz einverstanden und hoffte, indem er mich entließ, die ›Jahrbücher‹ würden realisiren, was die ›Jenaer Literaturzeitung‹ einmal versprochen habe. »Was mich betrifft,« sagte er, »so will ich sehr gern den Antheil nehmen, den meine Beschäftigungen mir gestatten.« Vor meinem Weggehn lud er mich für alle folgenden Tage, die ich noch in Weimar sein würde, zum Mittagessen ein.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1827. 1827, 28. August. Mit Eduard Gans. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A170-3