1802, 15. Juni.


Mit dem Improvisator Scotes

Herr Scotes .... hielt.. heute Abends eine öffentliche Akademie ..... Der Künstler gestattete sich keine der sonst gewöhnlichen Erleichterungsmittel, als: Begleitung von einem Instrument, weit hergeholte Episoden, Gemeinplätze, Einleitungen, Complimente. Nur wenige Augenblicke, nachdem die Aufgabe gesprochen ist – und ein unaufhaltsamer Strom harmonischer Reden entquillt schon seinem Innern und rauscht.. dem vorgesteckten Ziele zu. Die erste Aufgabe war: die Flucht der Musen aus Griechenland nach Italien – ein Thema, dessen überströmenden Reichthum der verständige Künstler überall sehr gut zu beherrschen und durch eine feine Anordnung lichtvoll darzustellen wußte. Durch eine Galerie der berühmtesten Dichternamen aus dem alten Griechenland und dem alten und neuen Italien, wovon jeder ein [271] charakteristisches Tableau aus seinen Gedichten beitragen mußte, führte uns der bekannte Schnellsänger – um einmal mit Herrn Campe zu reden – zu der jetzigen traurigen Lage seines, durch Krieg und Parteigeist verödeten Vaterlandes und begleitete nun die Musen, die jenen Schrecknissen entflohen, über die Alpen in das friedliche Deutschland der geistreichen und selbst als Dichterin berühmten Dame [Amalie v. Imhoff] gegenüber, die diese Aufgabe auf dringendes Bitten der Gesellschaft ausgesprochen hatte. Einigen Anwesenden schien dieser Gegenstand für einen solchen Künstler zu leicht. Der Herr Geheime Rath v. Goethe nannte also ein weit beschränkteres, aber eben darum dem wahren Künstler zum Aufgebot seiner ganzen Dichterschätze noch willkommneres Thema: das Vergnügen eines italienischen Zuschauers in einem Nationallustspiel an den vier bekannten Charaktermasken. Mit sichtbarer Freude ergriff der stets fertige Improvisator diesen Stoff fast ohne alles vorhergehende Nachdenken, und nachdem er im Eingang diesen Gegenstand sehr sinnreich mit dem vorhergehenden verknüpft und gezeigt hatte, daß jetzt nicht Zeit zur ängstlichen Wehklage, sondern zur lachenden Fröhlichkeit sei, zeigte er mit der lebendigsten Anschauung und einer treffenden Mimik alle charakteristischen Eigenschaften des Arlechino, Pantalone, Brighella und Tartaglia, indem er sie durch eine ganze Reihe komischer Situationen durchführte und mit dem ganzen unerschöpflichen Reichthum ächt [272] italienischer Lazzi, soweit sie die Sprache aufnimmt, und burlesker Einfälle ausstattete. Auch hier, wie bei jeder andern Gelegenheit, zeigte sich die, an Künstlern seiner Art besonders seltene, ihm aber ganz eigene Fertigkeit einer klaren Exposition. Erst zeichnete er jene scherzhaften Figuren nur in allgemeinen Umrissen, dann ging er sie aufs Neue mit belebender Ausführlichkeit durch.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1802. 1802, 15. Juni.. 1802, 15. Juni. Mit dem Improvisator Scotes. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A186-4