1829, 23. Juni.


Mit Friedrich Rochlitz

Welche köstliche Stunden (wahrlich! sie sind die schönsten meines Lebens) habe ich nun nicht zu schildern! Das geht nicht auf einem Blatte; aber anzuzeigen und damit zu veranlassen, daß Du [Frau Rochlitz] darnach fragst, wenn Dir wirklich daran gelegen. Ich wurde erwartet, eingeführt, und der erste Augenblick machte mich über Goethes jetzt wieder erneutes, vollkräftiges Herbstnachblühen erstaunen; im zweiten hatte er mich schon an seine Brust gezogen, wo er mich schweigend festhielt, wie ich schweigend an seinem großen edlen Herzen ruhte, bis er mit seiner noch so kräftigen Stimme ausrief: »Willkommen! Willkommen!« Wir setzten uns; sein erstes Wort war die Frage nach Dir. Nach einer Weile beganner: »Ich meine, wir lassen uns noch frischer aus im Grünen und zu Zweien harsch aneinander. Der Wagen steht bereit. Hab' ich's recht gemacht?« Wir fuhren fast volle zwei Stunden, erst im Park, dann der untergehenden Sonne zu. Unser Gespräch berührte nicht wenige der wichtigsten Angelegenheiten des innern Menschen, ein jeder von seinem Gesichtspunkte aus, ein jeder den des andern ehrend, aber den seinigen festhaltend. Lebenslang vergesse ich dieses Gespräch nicht.

Bei ihm zurückgekommen, wollte ich mich entfernen; [99] er ließ mich nicht. Das Gespräch wendete – erst im Garten, dann auf dem Zimmer – sich (daß ich so sage) irdischer, besonders auf Schiller und dessen innern Lebensgang. Wie liebenswürdig begeistert sprach der große Mann von dem großen Rival! – Dann zeigte er mir köstliche Kunstgeschenke vom König Ludwig von Bayern, und wir ergossen uns darüber. Da ich von neuem zu gehen ansetzte, ließ er seinen Sohn rufen, und wir drei gingen in ein anderes Zimmer zum Abendtisch. Hier wurden wir jugendfröhlich, indem ich von Wien, er von Neapel auskramte. So ward's spät; endlich mußte ich fort. Der Sohn mußte seinen Hut holen, mich zu begleiten, »und bis an's Bett!« sagte der Vater. Zuvor hatte er mich aber noch gedrängt, anzugeben, wen ich morgen Mittag.. an seiner Tafel sehen wollte: wir blieben bei v. Müller, Meyer (den er erst, wie ich nicht wußte, von Belvedere herbeiholen muß), Riemer und Eckermann .....

Zum Schluß... einige spaßhafte Anekdötchen, die des Aufbewahrens nicht unwerth sind. Du hast ohne Zweifel schon oft gehört von Goethes, unter Deutschen höchst seltener Gabe, durch überraschende, geistvoll pikante Schlagworte ein heiteres Gespräch noch mehr zu erheitern. Als wir nach jener Fahrt in seinem Gärtchen am Hause auf und ab gingen, fiel mir ein wunderliches Beet auf: im länglichen Viereck, ohngefähr so groß wie eine unserer ehemaligen Stuben, war es mit nichts bepflanzt – und auf's Allerdichteste, sodaß zur [100] Blüthezeit die Kronen ineinander greifen müssen – mit nichts, sag' ich, als mit weißen Lilien. »Ja,« sagte er, »das war auch so ein Einfall! etwas was mir vor einem halben Jahrhundert in anderer Gestalt nur allzuwohl gefallen hatte: eine wilde Unschuld.« – Als er von der übrigen Königin von Neapel, Caroline, Schwester Antoinettens von Frankreich etwas erzählen wollte, begann er: »Sie war in anderen Umständen, als das Land, in gesegneten nämlich.«

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1829. 1829, 23. Juni. Mit Friedrich Rochlitz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A18E-3