1789, 5. Februar und vorher.


Mit Carl Ludwig von Knebel

Gestern vertraute mir Knebel etwas von seinem Streit mit Goethe und Moritz über des letzteren Abhandlung [»Über die bildende Nachahmung des Schönen«]. Es ist nun alles wieder gut; Goethe zeigt Moritzens Abhandlung in der Literaturzeitung an und hat einen Auszug davon gemacht, den er Knebeln gestern gegeben hat, worüber er sehr zufrieden war, und ihm nur nochmals seine eigne Vorstellungsart von der Schönheit der Kunst und der Schönheit der Natur deutlicher gemacht hat, und worüber, wie mich dünkt, Knebel die richtige Grenze gefunden hat. Moritz hat diese Grenze in der Abhandlung nicht deutlich bemerkt oder gar in eins gebracht; dies war's, was den Knebel so sehr aufbrachte. Heute schrieb er mir: »Grüßen Sie doch Herder tausendmal von mir; selbst kann ich nicht schreiben. Ich war gestern den meisten Theil des Abends bei Goethe. Den Unterschied der Schönheit als Vollkommenheit eines Ganzen und als Vollkommenheit eines scheinbaren Ganzen erkannte er nicht nur, [114] sondern sagte auch darüber noch mehrere sehr richtige Sachen. Schönheit der Natur ist Vollkommenheit des Ganzen, zu einer anschaulichen Kenntniß gebracht; Schönheit der Kunst ist gleichsam der Anblick des Vollkommenen, in der Seele des Künstlers zur Gestalt gereift und durch innere Kraft wieder zur Gestalt wirkend. Die erste Schönheit besteht in Ordnung und Gesetzen der Natur, soweit sie übereinstimmend erkannt werden; die Schönheit des Künstlers gründet sich auf dieselbe Ordnung, aber sie wirkt stärker auf die Sinneskräfte und äußert sich durch die Art und Weise, wie der Künstler jene aufzunehmen und darzustellen vermag. Beiderlei Arten mischen sich in der Seele; die letzte allein bestimmt den Werth des Künstlers.«

[115]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1789. 1789, 5. Februar und vorher. Mit Carl Ludwig von Knebel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A231-9