1827, 28. August.


Mit Gustav Parthey

Ich hatte versprochen, den Kanzler v. Müller gegen 2 Uhr von Goethes Hause zu dem großen Festmahle abzuholen. Da ich ... etwas zu früh kam, so fand ich Goethen allein. Er knüpfte gleich ein Gespräch an, nicht über meine Reisen, sondern erkundigte sich nach der Stellung, die Hegel in Berlin einnähme. Ich ... erwiederte in möglichster Kürze, daß Hegel persönlich der höchsten Achtung genieße, daß die Schwerfälligkeit seines Vortrags anfangs viele abgeschreckt, daß man sich aber bald überzeugt habe, die Verworrenheit sei nur an der Oberfläche, und unter der herben Schale liege der süße Kern eines ganz fertigen, in seiner Consequenz staunenswerthen philosophischen Gebäudes. Er erging sich nun im Allgemeinen über die Philosophie und sagte: »Kant ist der erste gewesen, der ein ordentliches Fundament gelegt. Auf diesem Grunde hat man denn in verschiedenen Richtungen weiter gebaut: Schelling hat das Object, die unendliche Breite der Natur, vorangestellt. Fichte faßte vorzugsweise das Subject auf: daher stammt sein Ich und Nicht-Ich, womit man in speculativer Hinsicht nicht viel anfangen kann. Seine Subjectivität kömmt aber auf einer andern Seite herrlich zum Vorschein, nämlich in seinem Patriotismus. Wie groß sind die Reden an die deutsche Nation! Da [182] war es an der Stelle, das Subject hervorzuheben. Wo Object und Subject sich berühren, da ist Leben; wenn Hegel mit seiner Identitätsphilosophie sich mitten zwischen Object und Subject hineinstellt und diesen Platz behauptet, so wollen wir ihn loben.«

Inzwischen hatten Müller, der Kammerjunker v. Goethe und Hofrath Riemer sich eingefunden. .... Meine freudige Überraschung war nicht gering, als Goethe mir beim Abschiede sagte: »Wir sind mit Ihrer Reise noch lange nicht fertig; Sie kommen doch morgen Mittag?«

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1827. 1827, 28. August. Mit Gustav Parthey. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A267-2