1824, 6. Mai.


Mit Johann Peter Eckermann

Als ich im vorigen Sommer nach Weimar kam, war es, wie gesagt, nicht meine Absicht, hier zu bleiben, ich wollte vielmehr blos Goethe's persönliche Bekanntschaft machen und dann an den Rhein gehen wo ich an einem passenden Orte längere Zeit zu verweilen gedachte.

Gleichwohl ward ich in Weimar durch Goethe's besonderes Wohlwollen gefesselt; auch gestaltete sich mein [80] Verhältniß zu ihm immer mehr zu einem praktischen, indem er mich immer tiefer in sein Interesse zog und mir als Vorbereitung einer vollständigen Ausgabe seiner Werke manche nicht unwichtige Arbeit übertrug.

So stellte ich im Laufe dieses Winters unter anderm verschiedene Abtheilungen ›Zahmer Xenien‹ aus den konfusesten Convoluten zusammen, redigirte einen Band neuer Gedichte sowie den erwähnten Theaterkatechismus und eine skizzirte Abhandlung über den Dilettantismus in den verschiedenen Künsten.

Jener Vorsatz, den Rhein zu sehen, war indeß in mir beständig wach geblieben, und damit ich nicht ferner den Stachel einer unbefriedigten Sehnsucht in mir tragen möchte, so rieth Goethe selber dazu, einige Monate dieses Sommers auf einen Besuch jener Gegenden zu verwenden.

Es war jedoch sein ganz entschiedener Wunsch, daß ich nach Weimar zurückkehren möchte. Er führte an, daß es nicht gut sei, kaum geknüpfte Verhältnisse wieder zu zerreißen, und daß alles im Leben, wenn es gedeihen wolle, eine Folge haben müsse. Er ließ dabei nicht undeutlich merken, daß er mich in Verbindung mit Riemer dazu ausersehen, ihn nicht allein bei der bevorstehenden neuen Ausgabe seiner Werke thätigst zu unterstützen, sondern auch jenes Geschäft mit gedachtem Freunde allein zu übernehmen, im Fall er bei seinem hohen Alter abgerufen werden sollte.

Er zeigte mir diesen Morgen große Convolute seiner [81] Correspondenz, die er im sogenannten Büstenzimmer hatte auseinanderlegen lassen. »Es sind dies alle Briefe,« sagte er, »die seit Anno 1780 von den bedeutendsten Männern der Nation an mich eingegangen; es steckt darin ein wahrer Schatz von Ideen, und es soll ihre öffentliche Mittheilung Euch künftig vorbehalten sein. Ich lasse jetzt einen Schrank machen, wohinein diese Briefe nebst meinem übrigen literarischen Nachlasse gelegt werden. Das sollen Sie erst alles in Ordnung und beieinander sehen, bevor Sie Ihre Reise an treten, damit ich ruhig sei und eine Sorge weniger habe.«

Er eröffnete mir sodann, daß er diesen Sommer Marienbad abermals zu besuchen gedenke, daß er jedoch erst Ende Juli gehen könne, wovon er mir alle Gründe zutraulich entdeckte. Er äußerte den Wunsch, daß ich noch vor seiner Abreise zurück sein möchte, um mich vorher noch zu sprechen.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1824. 1824, 6. Mai. Mit Johann Peter Eckermann. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A2A8-E