1806, 10. Mai.


Mit Friedrich Wilhelm Riemer

»Es ist lächerlich, wenn die Philister sich der größern Verständigkeit und Aufklärung ihres Zeitalters rühmen und die frühern barbarisch nennen. Der Verstand ist so alt, wie die Welt, auch das Kind hat Verstand: [27] aber er wird nicht in jedem Zeitalter auf gleiche Weise und auf einerlei Gegenstände angewendet. Unser Zeitalter wendet seinen ganzen Verstand auf Moral und Selbstbetrachtung; daher er in der Kunst und wo er sonst noch thätig sein und mitwirken muß, fast gänzlich mangelt. Die Phantasie wirkte in frühern Jahrhunderten ausschließend und vor, und die übrigen Seelenkräfte dienten ihr; jetzt ist es umgekehrt, sie dient den andern und erlahmt in diesem Dienst.

Die frühern Jahrhunderte hatten ihre Ideen in Anschauungen der Phantasie; unseres bringt sie in Begriffe. Die großen Ansichten des Lebens waren damals in Gestalten, in Götter gebracht; heutzutage bringt man sie in Begriffe. Dort war die Productionskraft größer, heute die Zerstörungskraft, oder die Scheidekunst.«

[28]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1806. 1806, 10. Mai. Mit Friedrich Wilhelm Riemer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A2AF-F