1825, 28. Mai.


Mit Friedrich von Müller
und Heinrich Meyer

Abends von 6-8 1/2 Uhr war ich mit Meyern bei ihm. Anfangs schien er weniger aufgelegt, wurde aber immer mittheilender und zuletzt recht gemüthlich. Erst sprachen wir lange über die Gothaische Gemälde-Gallerie; Meyer beschrieb ein Paar vorzügliche Bilder von Correggio (namentlich von dem Knaben mit einem Vogel), die ich ganz übersehen hatte.

[205] Der Berliner Probeabdruck der Jubiläumsmedaille ward vorgezeigt; herrlich gerathen! Goethe holte treffliche Medaillen von Benvenuto Cellini herbei, um durch Vergleich die Schönheit des Berliner Entwurfs noch mehr darzuthun. Als Meyer weg war, sagte er: »Wir sind zu kühn in dieser Sache gewesen, mehr als billig, wir mögen nur Gott danken, daß es so glücklich abläuft.« Nun zeigte er mir schöne Hamburger Steindrücke, was er eine Stunde früher abgelehnt hatte. Louis Devrient und ein zahmer Blücher waren darunter.

Das Gespräch verbreitete sich über die Belagerung von Navarino, über geistige Ähnlichkeit zwischen Frau von Stael und Byron, über die Mémoires sur Mad. de Pompadour, aus denen er mancherlei erzählte, über Gagern und den rechten Gesichtspunkt zu seiner und seiner Schriften Würdigung, über die durchgefallene Emancipationsbill in England, über Rehbein's Tüchtigkeit, der sich von der Jenaischen Naturphilosophie gerade genug angeeignet, um sich ein höheres Urtheil zu bilden und seinen Kopf aufzuhellen, über des alten, verstorbenen Stark practischen Tiefblick, über Goethes tödtliche Krankheit im Jahre 1800, die blos aus einem Brownianischen zurückgetriebenen Katarrh entstanden, über Reil's Gutachten hinsichtlich seiner Nierenkrämpfe, ebenfalls aus katarrhalischem Stoff hergeleitet, über Aufhebung des Sclavenhandels, wodurch eine gewaltigere Zusammenfassung der afrikanischen Völker und [206] Vertreibung der Europäer von Afrika's Küsten drohen dürfte, über die Wichtigkeit des Besitzes der jonischen Inseln aus der venetianischen Erbschaft, über die großen Pläne des ägyptischen Vicekönigs, über Alexander Humboldt's gescheiterte Hoffnung zu politischer Wichtigkeit. »Er ließ« – sagte Goethe – »die Republik hinter sich, als er nach Amerika zog, und fand einen Dictator, als er wiederkehrte, der ihn geringschätzig frug: Sie beschäftigten sich mit Botanik? Ich weiß, daß auch meine Frau sie treibt.« Das National-Institut, das Humboldt aufs Grandioseste hatte mit einrichten helfen, war während dem ganz umgemodelt worden.

Endlich kam Goethe auf Cicero, von dem ihm die erste Rede, die er, erst 27 Jahre alt, zu Defension eines des Mordes angeklagten Landmannes und gegen einen Günstling Sylla's hielt, heute Morgen wieder in die Hand gefallen war. Er characterisirte sie aufs lebendigste nach der Keckheit, Gelbschnabeligkeit, Petulanz, die darin herrsche und doch schon mit großem Verstand und Umsicht gepaart sei. Ehe die römische Republik ausgeartet, fuhr er fort, als Jahrhunderte lang kein Ehebruch vorgekommen, gegen den Vatermord gar kein Gesetz nöthig geschienen etc., sei es doch übrigens so langweilig und nüchtern hergegangen, daß kein honneter Mensch sich dort gelebt zu haben wünschen möchte. Die zwölf Tafeln waren eine elende Compilation. Ich kann mich jetzt mit allem diesen Zeug und Detail nicht mehr abgeben, aber ich weiß wohl, was [207] an jedem dieser Staaten war und halte die Hauptumrisse aller jener Zustände fest in mir.

Den Beschluß machte meine Ankündigung der Gräfin Rapp. Es war schon ganz dunkel geworden, als ich von Goethen schied, der lange nicht so mild und redselig gewesen war.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1825. 1825, 28. Mai. Mit Friedrich von Müller. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A2F3-4