1831, 11. Februar.


Mit Johann Peter Eckermann

Heute bei Tische erzählte mir Goethe, daß er den vierten Act des ›Faust‹ angefangen habe und so fortzufahren gedenke, welches mich sehr beglückte.

Sodann sprach er mit großem Lobe über Karl Schöne, einen jungen Philologen in Leipzig, der ein Werk über die Costüme in den Stücken des Euripides geschrieben und, bei großer Gelehrsamkeit, doch davon nicht mehr entwickelt habe als eben zu seinen Zwecken nöthig.

»Ich freue mich,« sagte Goethe, »wie er mit productivem Sinn auf die Sache losgeht, während andere Philologen der letzten Zeit sich gar zu viel mit dem Technischen und mit langen und kurzen Silben zu schaffen gemacht haben.

Es ist immer ein Zeichen einer unproductiven Zeit, wenn sie so ins Kleinliche des Technischen geht, und ebenso ist es ein Zeichen eines unproductiven Individuums, wenn es sich mit dergleichen befaßt.

Und dann sind auch wieder andere Mängel hinderlich. So finden sich z.B. im Grafen Platen fast alle Haupterfordernisse eines guten Poeten: Einbildungskraft, Erfindung, Geist, Productivität besitzt er im hohen Grade, auch findet sich bei ihm eine vollkommene technische Ausbildung und ein Studium und ein Ernst [7] wie bei wenigen andern, allein ihn hindert seine unselige polemische Richtung.

Daß er in der großen Umgebung von Neapel und Rom die Erbärmlichkeiten der deutschen Literatur nicht vergessen kann, ist einem so hohen Talent gar nicht zu verzeihen. Der ›Romantische Ödipus‹ trägt Spuren, daß, besonders was das Technische betrifft, gerade Platen der Mann war, um die beste deutsche Tragödie zu schreiben, allein nachdem er in gedachtem Stück die tragischen Motive parodistisch gebraucht hat, wie will er jetzt noch in allem Ernst eine Tragödie machen!

Und dann, was nie genug bedacht wird: solche Händel occupiren das Gemüth, die Bilder unserer Feinde werden zu Gespenstern, die zwischen aller freien Production ihren Spuk treiben und in einer ohnehin zarten Natur große Unordnung anrichten. Lord Byron ist an seiner polemischen Richtung zu Grunde gegangen, und Platen hat Ursache, zur Ehre der deutschen Literatur von einer so unerfreulichen Bahn für immer abzulenken.«

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1831. 1831, 11. Februar. Mit Johann Peter Eckermann. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A36F-A