1812, Mitte September (?).


Mit Heinrich Luden

An dem Tage nun, da ich... mit Goethe in Knebel's Garten ging, lag mir gewiß kaum ein Gedanke ferner, als der Gedanke an den Herzog Bernhard [den Großen von Weimar]. Kaum aber hatten wir einige Schritte gemacht, so fing Goethe an: »Es ist mir lieb, Sie einmal allein zu sprechen. Ich hätte längst gern über eine Sache mit Ihnen geredet, die auch mich einst beschäftigt hat, und wir wollen den Augenblick benutzen. Wie steht es mit Ihrer Biographie des Herzogs Bernhard?« – Sind Ew. Excellenz auch mit dieser Sache bekannt? – »Wie sollte ich nicht? Freilich!« – Leider steht es nicht gut, oder vielmehr es steht gar nicht. – »Wie so?« – Und nun begann ein freundliches Gespräch, in welchem Goethe anfangs der Fragende und ich der Antwortende war, welches aber bald in eine wahre Conversation überging. Ich will indeß, um die Weitläufigkeit des Gesprächs zu vermeiden, lieber zusammenstellen, was im Wesentlichen gesagt worden ist. Ich [39] will nicht läugnen, sagte ich, daß ich den Vorschlag des Herrn [Staatsminister] V. Voigt gern an nahm und daß ich nicht ohne Liebe ans Werk ging. Der Herzog war mir in der Geschichte des dreißigjährigen Krieges immer als eine glänzende Heldengestalt entgegengetreten und mit Lust und Freude hatte ich wie in Tagen des Sieges so in Tagen des Unglücks auf den jungen Fürsten des Vatertandes hingeblickt. Deßwegen faßte ich die Hoffnung, er werde eingerahmt und aus dem großen Gemälde herausgenommen, mit einer Umgebung, die als würdiger Hintergrund ihn nur noch mehr heben mußte, sich in einer solchen Weise darstellen lassen, daß er als Held des Glaubens und des Vaterlandes ein Muster und Beispiel sein könnte für Hohe und für Geringe. Sowie ich aber den Versuch machte, fielen von allen Seiten – wenn das anders nicht falsch gesprochen ist – Schatten auf mein Bild, die mir das Licht verschoben oder verdarben. Wie ich ihn auch stellen mochte, er bekam weder Schnitt noch Farbe. Zwar blieb er ein ausgezeichneter Kriegsfürst, tüchtig, einsichtig, tapfer und kühn; zwar war er auch ein frommer Mann und bewahrte stets ein tiefes Ehrgefühl und eine hohe fürstliche Gesinnung; aber ein bloßes Aufzählen seiner Thaten und Fahrten gewährte mir kein hinlängliches Interesse; als bloßen Soldaten konnte und mochte ich ihn nicht darstellen. Er stand allerdings nicht niedriger, als alle Übrigen, die in diesem unglückseligsten aller Kriege, in diesem [40] heillosen Heuchelkriege hervorragten, aber auch eben nicht höher. Denn ein Heuchelkrieg war es, und wenn man auch das Bild der Religion auf dieser Seite wie auf jener vor sich her trug, so galt es doch nur um irdische Interessen, die man durch religiöse Mittel zu fördern suchte. Gustav Adolf's Haupt hat man mit einem Heiligenschein zu umgeben gesucht und diesen Schein hat noch niemand unter den Protestanten zu zerstören oder zu verwerfen gewagt; da er so früh seinen Tod fand, so ist er als »ein Kämpfer des Herrn« gefallen und die Wahrheit ist von der Geschichte entfernt geblieben. Dem Herzog Bernhard ist dieser Heiligenschein zu gute gekommen: es war genug, daß er an der Seite dieses Kämpfers des Herrn gestanden hatte; niemand fragte nach der eigentlichen Natur der Verbindung beider Fürsten, und das Herzogthum Franken wurde kaum beachtet. Selbst sein Anschließen an Frankreich, das doch eben nicht für den Protestantismus besonders enthusiasmirt war, hat eben deßwegen seine Lobredner gefunden. Mit Einem Worte: mir kam vor, als müsse der Herzog seine Stellung in der Geschichte des dreißigjährigen Krieges behalten; wenigstens trauete ich mir nicht, eine Biographie desselben zu schreiben.

Was Goethe sagte, lief auf Folgendes hinaus: »Wir sind ganz einig; Ihre Geschichte ist in diesem Falle die meinige. Ich bin fast in derselben Weise wie Sie zu dem Versuche einer Biographie des Herzogs [41] bewogen worden; auch habe ich in der That den Willen gehabt, das Buch zu schreiben, und die Hoffnung, es werde sich etwas Erfreuliches und Heiteres machen lassen. Aber ich erkannte bald, daß es schwer, wenn nicht unmöglich sein würde, dem Helden eine bestimmte anständige Physiognomie zu geben. Zwar bin ich auf das Kirchliche und Politische nicht eingegangen: das Kirchliche gehört der Zeit an; es war der Firniß, mit welchem man Leidenschaften und Bestrebungen überstrich, um andere und sich selbst zu täuschen. Auf jener Seite wie auf dieser hat es Glaubenshelden gegeben; auf jener Seite wie auf dieser hat man sich selbst eingebildet und sich von anderen vorsagen lassen, Kämpfer des Herrn zu sein. Das Politische aber habe ich zur Seite geschoben: es gab keine andere Politik, als die Lust zu rauben, zu plündern, zu erobern. Das Reich war dahin und bestand nur noch in einer verblaßten überlieferten Vorstellung. Welcher Fürst bekümmerte sich um den Kaiser und das Reich anders, als indem er seinem Vortheile nachlief? Die Gedanken Vaterland und Nationalität waren dem Zeitalter fremd und sind den späteren Zeiten fremd geblieben, wie sie denn auch wohl früher selten wirksam gewesen sein mögen. Darum ist niemandem zum Vorwurf zu machen, daß er nicht vaterländisch oder national handelte; es ist niemandem zu verdenken, daß er sich nach allen Seiten wandte, um die Stellung zu erhalten, in welcher er größeren Einfluß gewinnen konnte, und kein Geschenk zurückwies, [42] das er zu besitzen wünschte, gleichviel ob es ihm vom Norden her geboten ward, oder vom Süden. Deßwegen glaubte ich auch, den Herzog Bernhard nur als Heerführer und Held beachten und ihn in jedem Verhältniß aufnehmen zu müssen, in welchem ich ihn fand und wie ich ihn fand, ohne die Gründe zu beurtheilen, die ihn in dieses Verhältniß gebracht haben mochten. Aber selbst in dieser Beschränkung, in welcher doch keine ungebührlichen Anforderungen gemacht wurden, gerieth ich in Verlegenheit. Von dem Früheren kann, da der Herzog noch so jung und untergeordnet war, keine Rede sein, aber der Tag bei Lützen war schön und könnte wohl Begeisterung erregen. Sie haben recht: Gustav Adolf verdankte den Heiligenschein seinem Tod in dieser Schlacht. Hätte er länger gelebt, so möchte allerdings das Urtheil, ich will nicht sagen der Geschichte, sondern der Geschichtschreiber anders geworden sein; denn er würde sich wahrscheinlich in so wirre Dinge verstrickt haben, daß es ihm weder möglich gewesen wäre, seinem Wesen getreu zu bleiben, noch den Schein zu retten. Wenn, wie der König im Anfange der Schlacht, so der Herzog im Augenblicke des Sieges, als Wallenstein schon auf dem Rückzug oder auf der Flucht war, gefallen wäre, so würde auch er mit dem Heiligenschein in der Geschichte stehen; er würde wie ein Held ohnegleichen gefeiert werden, der schnell der Sache ein Ende gemacht und all das Unglück abgewendet haben würde, das später über die Welt gekommen ist; denn die[43] Menschen sind gar sehr geneigt, einem jungen Manne, der rasch aus dem Leben hinweggerissen wird, alle Hoffnungen als Erfüllung anzurechnen. Und ein Götze ist ihnen immer Bedürfniß. Aber was ist mit Nördlingen anzufangen? Eine Gardine ist nicht niederzulassen, ein Schleier nicht darüber zu werfen. Und wenn auch der Dichter noch wohl einen Ausweg fände, so kommt ihr Historiker mit dem, was Ihr Wahrheit nennt, und treibt des Dichters Werk auseinander. Und so habe ich mich denn zurückgezogen und die Sache aufgegeben, wie Sie.«

Inzwischen war Knebel herzugekommen, und durch ihn wurde dem Gespräch eine andere Wendung gegeben.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1812. 1812, Mitte September (?). Mit Heinrich Luden. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A377-5