b.

Ich muß Dir [Börm] noch ein Stückchen erzählen, das mir den Goethe so unendlich lieb gemacht hat. Als ich zum zweiten Mal bei Goethe war, wurde gerade mein Doctordiplom ausgefertigt und Goethen von Jena aus für mich zugeschickt. Mir verschwieg er's. August mußte nach Belvedere hingehen, um Lorbeer-und Zitronenzweige zu holen. Bei Tisch wußte ich noch nichts davon. Nach dem Essen sagte Goethe zur Vulpius: »Mein Kind! der Voß sieht mir noch so hungrig aus; man sollte doch das Gastrecht nicht verletzen und seinen Freunden wenigstens satt zu essen geben.« Ich entschuldigte mich in demselben lustigen Ton und versicherte, ich sei voll satt. Es half nichts; August mußte hinausgehen und den Nachtisch holen. Er kam wieder mit einer großen Schüssel, die er mir auf den Kopf setzte. Nun mußte ich versprechen, wenigstens noch einen Bissen zu essen, und vor mich hin wurde das Gericht gestellt. Denke Dir mein Erstaunen! [276] Ich sah Goethe an und wußte nichts zu sagen. Nun wurde mir sehr herzlich von Goethe, August und der Vulpius zu meiner neuen Würde gratulirt, Goethe Schloß mich in seine Arme und nannte mich zum ersten Mal seinen »lieben Sohn«, ein schmeichelndes Wort, welches er nachher oft wiederholt hat. Gleich darauf stellte sich seine fröhliche Laune ein. »Es ist gerathen,« sagte er zur Vulpius, »daß wir des neuen Doctors Gesundheit in Champagner trinken.« Sie mußte in den Keller und brachte den Göttertrank; wir hatten schon anderthalb Flaschen getrunken, aber dieser Nektar mußte doch noch hinzu. Wir haben die Flaschen bis auf den letzten Tropfen geleert. Während dieser Operation wurde ich immer Doctor genannt; ich protestirte dagegen. »Nein,« Sagte Goethe, »heut bleibt Er's und morgen auch aus Strafe, daß Er Doctor geworden ist. Morgen Abend haben wir eine kleine Gesellschaft, wo auch der neue Doctor Bode sein wird; da soll der beiden Herren ehrenfeste Gesundheit getrunken und Euch der Doctor wieder abgenommen werden.« Dann drückte er mir freundlich die Hand und sagte: »für uns sollen Sie der gute Voß bleiben.« Unterdeß wirkte der Champagner. Ich ward nicht bloß selig, sondern überselig. Ich habe Goethen nie nach Wunsche danken können, ich hatte es auch nie versucht; jetzt konnte ich's. Als wir aufstanden, war mir der Kopf ein bischen schwerer, als gewöhnlich, vielleicht Goethen auch; denn er war über [277] die Maßen lustig. wir gingen noch ein paar Stunden spazieren und im Park hielt mir Goethe ein Vorlesung über die Naturgeschichte.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1804. 1804, Ende März und Anfang April.: Mit Johann Heinrich Voß d. J.. b.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A39A-6