1823, 24. November.


Mit Johann Peter Eckermann

Sonnabend und Sonntag studirte ich die Gedichte [von Graf Platen]. Diesen Morgen schrieb ich meine[324] Ansicht darüber und schickte sie Goethen zu; denn ich hatte erfahren, daß er seit einigen Tagen niemand vor sich lasse, indem der Arzt ihm alles Reden verboten.

Heute gegen Abend ließ er mich dennoch rufen. Als ich zu ihm hineintrat, fand ich einen Stuhl bereits in seine Nähe gesetzt; er reichte mir seine Hand entgegen und war äußerst liebevoll und gut. Er fing sogleich an über meine kleine Recension zu reden. »Ich habe mich sehr darüber gefreut,« sagte er; »Sie haben eine schöne Gabe. Ich will Ihnen etwas sagen,« fuhr er dann fort, »wenn Ihnen vielleicht von andern Orten her literarische Anträge gemacht werden sollten, so lehnen Sie solche ab oder sagen es mir wenigstens zuvor; denn da Sie einmal mit mir verbunden sind, so möchte ich nicht gern, daß Sie auch zu andern ein Verhältniß hätten.«

Ich antwortete, daß ich mich bloß zu ihm halten, wolle, und daß es mir auch vorderhand um anderweitige Verbindungen durchaus nicht zu thun sei.

Das war ihm lieb, und er sagte darauf, daß wir diesen Winter noch manche hübsche Arbeit miteinander machen wollten.

Wir kamen dann auf die ›Ghaselen‹ selbst zu sprechen, und Goethe freute sich über die Vollendung dieser Gedichte, und daß unsere neueste Literatur doch manches Tüchtige hervorbringe.

»Ihnen,« fuhr er dann fort, »möchte ich unsere neuesten Talente zu einem besonderen Studium und[325] Augenmerk empfehlen. Ich möchte, daß Sie sich von allem, was in unserer Literatur Bedeutendes hervortritt, in Kenntniß setzten und mir das Verdienstliche vor Augen brächten, damit wir in den Heften von ›Kunst und Alterthum‹ darüber reden und das Gute, Edle und Tüchtige mit Anerkennung erwähnen könnten. Denn mit dem besten Willen komme ich bei meinem hohen Alter und bei meinen tausendfachen Obliegenheiten ohne anderweitige Hilfe nicht dazu.«

Ich versprach dieses zu thun, indem ich mich zugleich freute zu sehen, daß unsere neuesten Schriftsteller und Dichter Goethen mehr am Herzen liegen, als ich mir gedacht hatte.

[326]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1823. 1823, 24. November. Mit Johann Peter Eckermann. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A3A1-3