[276] b.
Von 5-8 Uhr weilte ich bei Goethe, dessen Unterhaltung höchst interessant, vertraulich, gemüthsvoll war. Er sprach über Cuvier's Lobrede 3 auf Haüy, worin vorkommt »Le ciel est entièrement soumis à la Géometrie,« Goethe belächelte diese Phrase sehr, da die Mathematiker ja nicht einmal die vis centripeta noch erklären könnten.
Darauf theilte er die Gedichte auf Madame Szymanowska, die Virtuosin, und auf ihre Schwester mit. Jene sei wie die Lust, so umfließend, so alsbald zusetzend, so überall, so leicht und gleichsam körperlos. Er zeigte mir ihre Handschrift.
Als ich Knebel's briefliche Aufreizung, ihm Werner'sche Sonette abzulocken, vorlas 4 und en espion von Erfurt handelte, gelang diese offene Kriegslist vortrefflich, und er versprach sie vorzusuchen. Er kam dabei auf den einstigen Wettkampf mit Werner, bei Gelegenheit des 24. Februar, Fluch und Segen in zwei kleinen Dramas durchzuführen. Gozzi habe behauptet, es gäbe nur 36 Motive zu einem Trauerspiel.
[277] Nachdem er Ottilien Lob gespendet, bemerkte er: Die Freundinnen theilen sich in zwei Classen, in solche die action à distance haben, und in solche, die nur in Gegenwart etwas sind. Mit jenen unterhalte ich mich oft lange im Geiste, diese sind mir rein nichts, wenn ich sie nicht vor mir sehe.
Als ich über die Virtuosin Szymanowska einige Querfragen that, äußerte er sanft scheltend: »Ach der Kanzler macht mir oft unversehens Verdruß.«
Den ganzen Abend war keine Spur von Unmuth oder Verstimmung in ihm zu finden; nur war es a tempo, als ich ging, denn er fing an zu ermüden.
1 Richtig: Wolowska.
2 Irrig; es war Graf Rostoptschin.
3 Cuvier, Baron Georges, Éloge historique de M. Haüy, Paris, Mus. hist. nat., Mém. X. 1823 p. 1-35; Paris, Acad. Sct., Mém. VIII, 1829 (Hist.) p. 145-177. Also an zwei Stellen.
4 Brief v. 23. Sept. 1823: Sehen Sie doch, daß Sie von Goethe einige der guten Sonette von dem wirklichen Werner herausbringen.