1794, 14. November.


Über Voßens Iliasübersetzung

Dritter Gesang.

Bei dem Schreien der Trojaner und dem stillen Anrücken der Griechen, welches schon die Alten als einen charakteristischen Zug der wahren Tapferkeit bemerkt haben, erinnerte Goethe noch sehr fein, daß dieser Contrast durch den im zweiten Buch vorhergehenden Catalogus noch auffallender werde, wo die Schiffs- und Heerliste der Griechen so viel mehr Platz einnehme und Nachdruck zeige, als das enge Verzeichniß der Troer und ihrer Genossen, die doch nun grade nach Art der Poltrons den größten Lärm machten.

V. 33 übersetzt Voß drakonta: »Natter«. Dachte dies wohl Homer dabei? V. 39 hat Voß für das schleppende »Unglückseliger Paris!« wie Stolberg das dysparis übersetzt hat, gradezu nur einen andern Begriff gesetzt: »Weichling!«. Dysparis war unübersetzbar, aber »Weichling« drückt doch auch gar nichts von dem aus, was in dyspari liegt; es ist: verhaßter, verderblicher Paris!

V. 54 werden dôr' Aphroditês durch »Huld Aphroditens« übersetzt und weiter unten V. 64 wörtlicher:[165] »Gaben der goldenen Aphrodite.« Diese Ungleichheit ist nicht im Homer.

V. 74, 75: »Jen' entschiffen zu Achaia's rosigen Jungfraun« ist ganz etwas anderes, als das Homerische Achaida kalligynaika. Nach Voßens Übersetzung wären die Zurückschiffenden nicht viel weniger, als parthenopipai gewesen.

V. 130 nympha philê, Voß: »du trautes Kind!« Es ist die Schwägerin Laodike, nicht Priamos, der spricht (wie unten V. 162 »mein Töchterchen«, philon tekos). Ich [Böttiger] ziehe daher Stolberg's »Geliebte!« vor, obgleich auch dies das nympha philê - liebes Weibchen! – nicht ganz ausdrückt.

V. 152 opa leirioessan »hellschwirrende«? Stolberg noch schlechter: »schwacher Gesang«.

V. 166 ff. »Nur den einzigen Agamemnon nennt uns Homer nicht im voraus und hebt ihn durch die so gespannte Erwartung vor den übrigen heraus.« Goethe.

V. 176 tetêka »in Thränen verschwind' ich.« – »Zerschmelz' ich,« wie es Stolberg hat, wäre weit besser; allein Voß verwarf es nur darum, weil es Stolberg schon vor ihm gebraucht hatte.

V. 180 Daêr aut' emos eske kynôpidos, eipot' eên ge. Voß: »Schwager mir war er vordem, der schändlichen (?) ach! er war es.« Kynôpis ist auch hier wie oben I, 159 verwässert. Das eipot' eên ge drückt etwas ganz anderes aus, als Voß übersetzt hat; es soll heißen: wenn er überhaupt je mein Schwager [166] war, wenn ich's überhaupt je verdiente, je seine Schwägerin zu heißen. Stolberg hat es lieber ganz weggelassen.

V. 224 »Sinn: Nun wunderten wir uns nicht mehr so darüber, daß Odysseus ein so dummes Ansehn gehabt habe.« Wieland.

Zakotos im 220. V. ist unvergleichlich durch »tückisch« übersetzt.

Man könnte hierbei fragen: Hat bloß Homer's Phantasie diese Körperformen geschaffen, oder hat er sie durch Bild und Überlieferung?

V. 286, 87. Die timê, die hinfort auch daure bei kommenden Menschengeschlechtern, veranlaßt in der Übersetzung leicht den Begriff eines fortdauernden Tributs. Homer will aber nur eine Buße andeuten, die auch den Nachkommen unvergeßlich bleibe.

V. 362 phalos kann nicht durch »gekugelten Helm« gegeben werden. Es waren die phaloi kleine polirte Metallplatten, womit der Helm ausgeschmückt war. Dies lehrt schon das abgeleitete Wort tryphaleia. Das Mißverständniß ist aus der gewöhnlichen lateinischen Übersetzung conus entstanden. S. Ernesti in Clav. Cic. s. r. phalerae.

V. 399 ff. »Helena behandelt hier die Venus wie eine Kupplerin.« Goethe.

V. 419 kataschomenê »gesenkt«.

V. 449 ff. Goethe fand den Contrast zwischen der Gardinenscene und dem auf dem Schlachtfelde wüthenden [167] Menelaus um so lächerlicher, weil hier der wüthige Menelaus mit seinem Aktäonischen Schmuck als cocu herumlaufe. Wieland macht einige Gegenbemerkungen, aus dem frühen Zeitalter hergenommen.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1794. 1794, 14. November. Über Voßens Iliasübersetzung. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A3D3-4