1817, 1. April.


Mit v. Knebel und Voß;

Einmal lud er [Knebel] uns auf ein Mittagsessen und auf Goethe. Vor dem Essen, im Garten, sprach Goethe über die Calderonrecensionen ziemlich ausführlich. Bei Tische hatte er den alten Knebel auf eine gar zutrauliche Weise fast immer zumbesten, und das scheint die Würze des Umgangs zwischen beiden zu sein. Auf die Frage, was der Heidelberger Daub für ein Mann sei, antwortete ich Knebel: der beste Mensch, ein vortrefflicher Prorector, ein herrlicher Gatte und Vater u.s.w. »Aber mein Gott!« sagte er, »wie kann er denn ein so einfältiges Zeug in die Welt[216] setzen, wie den ›Judas Ischarioth‹?« »Sei ruhig, mein Kind!« sagte Goethe, der nun das Wort nahm, »Sieh, das ist ganz wie mit Dir: Du bist auch der liebenswürdigste Mensch, den je die Sonne beschienen hat, Du bist ein zärtlicher Gatte, ein liebreicher Vater, würdest auch ein herrlicher Prorector sein, wenn man Dich wählte, aber wolltest Du anfangen, alle Deine Gedanken in die Welt hinein drucken zu lassen, buh und bah! Wie würden die Leute da über Dich herfallen! Sieh, liebes Kind,« fuhr er fort, »das ist ein Vorzug, den die Leute haben, die nicht schreiben: sie compromittiren sich nicht.«

Noch einmal fing Goethe an über die ›Lustigen Weiber‹ zu reden. »Ich habe ihn schon tüchtig gelobt,« sagte er zu Knebel, »aber er muß noch einmal, und das recht ordentlich gelobt werden.« Ich sagte: es dünkte mir so köstlich, daß alles im Stück Philister wäre, sogar Falstaff und die Elsen. Da meinte Goethe oder Knebel, (der letzte wird es gewesen sein): Fenton und Anna Page wären keine. O, platzte ich dazwischen aus, noch sind sie's nicht, sie sind auch erst einundzwanzig Jahre alt, lassen Sie sie erst dreißig alt sein, dann sind sie die vollkommensten. Darüber lachte Goethe sehr. »Da seh' einer den Heinrich Voß!« rief er; »der hat sich so in sein Stück vertieft, daß er Alter und alles genau kennt.« .... Goethe meinte auch, ich könne das Stück unmöglich in abgerissenen Stunden, ich müsse es nothwendig bei recht ordentlicher [217] Muße übersetzt haben, was denn auch freilich gegründet ist. Da sagt' ich denn auch Goethe: ich könnte mir einzelne Dichtungen gar nicht ohne einzelne Parthien des Weimarischen Parks denken, z.B. den Anfang der ›Iphigenie‹ und einzelne Stellen aus dem ›Lear‹ u.s.w. Da hättest Du ihn sollen reden hören über den Zauber der Phantasie, welche die ungleichsten Dinge verbinde und einen Gegenstand durch den andern verherrliche. Da forderte Goethe auch von mir, ich sollte ›Heinrich IV.‹ übersetzen.

Nach dem Essen erinnerte er mich an die Treue, mit der ich ihn in seiner Krankheit 1804 gepflegt und daß die Treutern ihm gesagt: Ach, wie schön, daß Sie genesen sind! Der arme Herr Professor wäre ganz draufgegangen; er konnte gar nicht mehr essen vor Kummer.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1817. 1817, 1. April. Mit v. Knebel und Voß;. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A3FC-A