1824, Ende Juni oder Anfang Juli.


Mit Friedrich von Müller

»Ich spreche nicht gern von Julie« [Gräfin Egloffstein], sagte er [Goethe] mir jüngst, »ich empfinde im Stillen zu viel über ihr Wegleiben und über den zögernden Gang ihrer Hofanstellung. Wir können uns doch nicht rühmen, eine vorzüglichere Person ihrer Art [96] kennen gelernt zu haben. Aber wenn sie klug, wenn sie nicht dunkel über sich selbst wäre, so käme sie unverweilt zurück. Das allein könnte und müßte der Sache schnell ein Ende machen. Ihre Erscheinung würde das alte Interesse der Fürstlichkeiten an ihr rasch beleben, und der zarteste und doch der wirksamste stillschweigende Vorwurf für sie sein. Und glauben Sie mir: Fürsten trösten sich leicht wegen Abwesender, aber nur sehr schwer lassen sie Anwesende, für die sie sich interessiren, unbefriedigt. Was soll ihr, Juliens, längeres Wegbleiben heißen? Es hat keinen vernünftigen Sinn. Es sieht einer Boutade, einem Ertrotzenwollen durch Wegbleiben ähnlich. Es schadet ihr offenbar bei den Herrschaften, die sie sehr ungern vermissen. Sie gehört zu uns: hier ist ihre Stelle. Was will sie in den Wäldern, in den Teichen? – Frau v. Eschwege 1 wird nicht gehen, bis Julie kommt, dann aber gewiß in kürzester Zeit. Glauben Sie, der Großherzog würde Julie ein zweites Mal wegreisen lassen, ohne ihr die Stelle einzuräumen? Das ist undenkbar. Kurz! sprecht mir nicht mehr davon, ich ärgere mich zu sehr. Es war unrecht schon, daß sie das erste Mal wegging, viel unrechter, ja abgeschmackt ist es, daß sie so lange wegbleibt, als jene nicht das Feld von selbst räumt; das heißt ja, ihr selbst den Wechselbrief verlängern. Schwatzt mir nicht von Delicatessen, von unangenehmer [97] Empfindung beim Wiederkommen vor erreichtem Ziel, von gekränktem Ehrgefühl! Das ist für Philisterseelen allenfalls, nicht aber Juliens würdig. Wer den Zweck will, muß die Mittel wollen, sich über kleine Unannehmlichkeiten hinwegsetzen und grandios genug denken, sich selbst und der Macht seiner Persönlichkeit zu vertrauen.«

– – – – – –

Und wie wird Goethe sich freuen, wenn Sie seinem – Rathe, darf ich nicht sagen; denn Sie wissen, daß er stets im Munde führt: »Die Menschen lassen sich ja nicht rathen« – aber: Winke, Wunsche, gefolgt sind.


Note:

1 An deren Stelle Julie Egloffstein treten sollte.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1824. 1824, Ende Juni oder Anfang Juli. Mit Friedrich von Müller. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A407-A