1821, 28. Juli.


Mit Joseph Sebastian Grüner

Sobald Goethe [in Eger] angekommen, meldete es mir sein Bedienter Stadelmann und brachte eine Einladung zum Besuche. Beim Eintritte empfing mich Goethe auf eine Art, die sich nicht beschreiben läßt, es war etwas Herzliches und doch Imponirendes darin, zugleich Liebe und Ehrfurcht einflößend. Nachdem er mir zum Willkommen die Hand gereicht, sagte er: »Sehen Sie, Freundchen, ich habe mich über die böhmischen feststehenden Gebirge wieder herüber gemacht, ich reise zwar nach Marienbad, allein ich komme wieder nach Eger, um dann länger hier zu bleiben.«

Er wies mir einen Sitz neben sich auf dem Sopha an, und fragte mich dann, wie lange ich diene, ob während meiner Dienstzeit Vorfallenheiten von bedeutender Wichtigkeit sich zugetragen hätten, und dergleichen. Ich hatte mich für einen solchen Fall gefaßt gemacht und meine wichtigsten Zeugnisse mitgenommen, um beweisen zu können, daß er sein Zutrauen nicht einem Beamten von so ganz gewöhnlichem Schlage schenke. [96] Ich überreichte ihm daher diese Zeugnisse mit dem Bemerken, daß aus selben, wenn er die Güte haben wollte, sie zu durchblicken, nicht uninteressante Begebenheiten zu ersehen sein dürften.

Er nahm diese Zeugnisse mit den Worten an: »Ihr offenes, freundliches Benehmen und das, was ich von Ihnen Gutes eingeholt habe, hat mir ein besonderes Vertrauen eingeflößt. Sie sind in allem gut unterrichtet, worüber ich belehrt sein will. Ihre Zeugnisse, die Sie mir anvertrauen, bringe ich von Marienbad wieder mit.« – Er sah sie flüchtig durch und sagte dann: »Über den Inhalt derselben werden Sie mir bei meiner Rückkunft Auskunft zu geben nicht ermangeln, besonders über die Räubergeschichte.«

Als ich bei unserem ferneren Beisammensein bemerkte, daß ich mir seine Farbenlehre nicht eigen machen könnte, und so vieles in ihr schon darum nicht verstünde, weil die Experimente kostspielige Instrumente erfordern, sagte er:

»Da sind Sie nicht der Einzige; diese Lehre hat viele Widersacher gefunden. Die Instrumente haben mich über zweitausend Gulden gekostet. Ich lebte in der Beruhigung, daß vielleicht einmal nach funfzig Jahren jemand mein Buch in die Hände bekommen und sagen würde: hat sich der auch auf dieses Feld gewagt! Wenn er es studiren und in das Innere eindringen wollte, so würde er den durch ein Löchlein eines verschlossenen Fensters auf ein Glasprisma [97] fallenden Sonnenstrahl lächerlich und die Newton'sche Lehre ungrundhaltig finden. Indeß habe ich doch auch schon bei meinem Lebzeiten das Vergnügen, daß man in Berlin in meine Lehre eingeht, zu welchem Ende ich auch meine Instrumente dahin geschickt habe. Die Ursache der Entstehung werden Sie gelesen haben. Ich habe noch das Blättchen Papier, auf welches im Zelte bei Mainz es geregnet hat. Seit dieser Zeit habe ich mich ernstlich mit dieser Lehre beschäftigt. Unser Verstand ist noch so beschränkt, daß wir gewisse Gegenstände bloß a posteriori annehmen und darauf bauen müssen; so verhält es sich mit der Sonne, so auch mit unsern Augen: wir wissen es, daß wir sie haben, wir bemerken die Wirkungen, und kein Mensch wird ergründen können, wie diese hervorgebracht werden, und woraus die Sonne bestehe. Alle die Schreibereien darüber sind grundlose Hypothesen.«

Die Lehre, sagte ich hierauf, daß, wenn dunkle Gegenstände im Hintergrunde, sind, die Luft uns blau erscheint, war mir ganz neu; daher ist mir auch jetzt erst verständlich geworden, wenn Chateaubriand anführt, daß er die Luft im Oriente, wo Kreidengebirge im Hintergrunde sind, gelblich gefunden habe.

Goethe erwiederte: »Damit kann man sich manches Späßchen machen, weil sich viele das Phänomen nicht zu erklären wissen, was Sie gelegentlich selbst in Anwendung bringen können; denn wenn Sie einen weißen Gegenstand in tiefes Wasser legen, so wird das Wasser [98] eine gelbliche Farbe annehmen, während es sonst überall dunkel bleibt. Am besten dürfte es sich mit einer weißen glänzenden Blechplatte bewähren. Ich habe Gläser, wenn Sie selbe auf ein schwarzes Tuch legen, so stellen sie sich dem Auge vollkommen blau dar. Legen Sie selbe auf weißes Papier, so sind sie gelb. Solche Gläser sollen Sie von mir haben.«

[99]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1821. 1821, 28. Juli. Mit Joseph Sebastian Grüner. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A472-5