a.

Zur Erzählung wieder zu kommen, schickte ich den Brief von Zelter sogleich hinein zu Goethe. Der ließ mich zu Tische bitten. Da fand ich ihn denn im Äußern unverändert, anfangs aber etwas still und wenig theilnehmend; ich glaube, er wollte mal zusehen, wie ich mich wohl nehmen möchte; mir war es verdrießlich, und ich dachte, er wäre jetzt immer so. Da kam zum Glück die Rede auf die Frauenvereine in Weimar und auf das »Chaos«, eine tolle Zeitung, die die Damen unter sich herausgeben, und zu deren Mitarbeiter [303] ich mich aufgeschwungen habe. Aufeinmal fing der Alte an, lustig zu werden und die beiden Damen [Ottilie und deren Schwester] zu necken mit der Wohlthätigkeit und dem Geistreichthum und den Subscriptionen und der Krankenpflege, die er ganz besonders zu hassen scheint, forderte mich auf, auch mit loszuziehen; und da ich mir das nicht zweimal sagen ließ, so wurde er erst wieder ganz wie sonst und dann noch freundlicher und Vertraulicher, als ich ihn bis jetzt kannte. Da ging's denn über alles her. Von der ›Räuberbraut‹ von Ries meinte er: die enthielte alles, was ein Künstler jetzt brauche, um glücklich zu sehen: einen Räuber und eine Braut. Dann schimpfte er auf die allgemeine Sehnsucht der jungen Leute, die so melancholisch wären; dann erzählte er Geschichten von einer jungen Dame, der er einmal die Cour gemacht hätte, und die auch einiges Interesse an ihm genommen habe; dann kamen die Ausstellungen und der Verkauf von Handarbeiten für Verunglückte, wo die Weimaranerinnen die Verkäuferinnen machen, und wo er behauptete, daß man gar nichts bekommen könnte, weil die jungen Leute alles unter sich vorher bestimmten und dann versteckten bis die rechten Käufer kämen u.s.w.

Nach Tische fing er dann aufeinmal an: »Gute Kinder – hübsche Kinder – muß immer lustig sein – tolles Volk!« und dazu machte er Augen, wie der alte Löwe, wenn er einschlafen will. Dann mußte ich [304] ihm vorspielen, und er meinte: wie das so sonderbar sei, daß er so lange keine Musik gehört habe; nun hätten wir die Sache immer weitergeführt und er wisse nichts davon; ich müsse ihm darüber viel erzählen: »denn wir wollen doch auch einmal vernünftig miteinander darüber sprechen.« Dann sagte er zu Ottilie: »Du hast nun schon gewiß Deine weisen Einrichtungen getroffen, das hilft aber nichts gegen meine Befehle, und die sind, daß Du heut hier Deinen Thee machst, damit wir wieder zusammen sind.« Als die nun frug, ob es nicht zu spät werden würde, da Riemer zu ihm käme und mit ihm arbeiten wolle, so meinte er: »Da Du Deinen Kindern heut früh ihr Latein geschenkt hast, damit sie den Felix spielen hörten, so könntest Du mir doch auch einmal meine Arbeit erlassen.« Dann lud er mich auf den heutigen Tag wieder zu Tisch ein, und ich spielte ihm abends viel vor; meine drei ›Walliser oder Walliserinnen‹ 1 machen hier viel Glück, und ich suche mein Englisch wieder vor.

Da ich Goethe gebeten hatte, mich Du zu nennen, ließ er mir den folgenden Tag durch Ottilie sagen: dann müsse ich aber länger bleiben, als zwei Tage, wie ich gewollt hätte, sonst könne er sich nicht wieder daran gewöhnen. Wie er mir das nun noch selbst sagte und meinte: ich würde wohl nichts versäumen,[305] wenn ich etwas länger bliebe, und mich einlud, jeden Tag zum Essen zu kommen, wenn ich nicht anderswo sein wollte; wie ich denn nun bis jetzt auch jeden Tag da war und ihm gestern von Schottland, Hengstenberg, Spontini und Hegel's Ästhetik erzählen mußte; wie er mich dann nach Tiefurt mit den Damen schickte, mir aber verbot, nach Berka zu fahren, weil da ein schönes Mädchen wohne und er mich nicht in's Unglück stürzen wolle; und wie ich dann so dachte, das sei nun der Goethe, von dem die Leute einst behaupten würden, er sei gar nicht Eine Person, sondern er bestehe aus mehreren kleinen Goethiden – da wäre ich wohl recht toll gewesen, wenn mich die Zeit gereicht hätte. Heute [24. Mai] soll ich ihm Sachen von Bach, Haydn und Mozart vorspielen und ihn dann so weiter führen bis jetzt – wie er sagte.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1830. 1830, 21. Mai bis Anfang Juni.: Mit Felix Mendelsohn-Bartholdy u.a.. a.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A48B-F