1827.


Mit Friedrich Förster nebst Familie u.a.

Ich fand Goethe an den Augen leidend; er trug bei Tage einen Schirm von grüner Seide, um sich gegen blendendes Sonnenlicht zu schützen, was die Weinranken im kleinen Garten an seinem Hause in der Stadt nur spärlich durch die kleinen Fensterscheiben seines Arbeitszimmers einfallen ließen. Am Abend schützte er sich gegen das Lampenlicht durch einen vorgesetzten Schirm. Er zeigte uns einige Schirme, welche kunstgeübte Hände der Freundinnen nach den von ihm getuschten Zeichnungen in dunkles Pergament radirt hatten. Es waren Mondscheinlandschaften, und er war so gütig, meiner Frau, welche ihm durch Vortrag mehrerer seiner, von Zelter neuerdings componirten Lieder die Abende verkürzte, zwei von ihm getuschte Landschaften griechischer Tempel bei Mondbeleuchtung zu schenken. Von jenen Compositionen gefielen ihm zumeist zwei Lieder: »Ich [259] ging im Walde so für mich hin« und »Um Mitternacht ging ich nicht eben gerne.« Als meine Frau das erste Lied unter der, in Zelter's Liederhefte befindlichen Überschrift »Auch mein Sinn« citirte, erklärte Goethe: er erinnere sich keines seiner Gedichte mit dieser Überschrift. Als er darauf in dem gedruckten Hefte sein Lied fand, bemerkte er lachend: »Da hat mein guter Zelter, wie er es öfter gethan, mein Lied umgetauft; der ihm von mir gegebene Name heißt: ›Gefunden.‹«

Bei diesem Besuche stellte ich Goethen meinen Pflegesohn, den zu der Zeit für ein musikalisches Wunderkind geltenden, sieben Jahr alten Karl Eckert vor, der sich später als Liedercomponist, als Begleiter der Gräfin Sonntag-Rossi, als Director der kaiserlichen Oper in Wien und als Hofkapellmeister in Stuttgart einen ehrenvollen Ruf erworben hat. Der Knabe, welcher bereits in seinem fünften Jahre freie Phantasien auf dem Flügel spielte, hatte den »Erlkönig« componirt, und meine Frau sang die Romanze von dem Knaben begleitet eines Nachmittags in dem bei Goethe versammelten Freundeskreise vor. Goethe belobte den Knaben, unterhielt sich eingehend mit ihm, fragte ihn, ob er andere Compositionen kenne und welche ihm vorzüglich gefalle. Damals war die geniale, weltberühmte Composition Schubert's noch nicht vorhanden. 1 Mein kleiner [260] Componist sagte: er kenne nur die Compositionen von Reichardt und Leonhard Klein, die ihm aber nicht gefallen wollten, weil sie den Erlkönig so sehr graulich singen ließen. Wenn, meinte er, der Erlkönig so tief brumme, dann würde der Knabe sich fürchten; der Erlkönig müsse den Knaben durch seinen Gesang zu verlocken suchen. Goethe äußerte sich hiermit einverstanden und sagte zu Hummel, welcher dem Knaben mit Aufmerksamkeit und Theilnahme zugehört hatte: »Meinen Sie nicht, lieber Hummel, daß der Knabe das Richtige getroffen hat?« Der Kapellmeister sprach sich zustimmend aus, wie er sich überhaupt liebevoll und anerkennend über das Talent des jungen Componisten äußerte. »Wir müssen schon zugeben, daß der Knabe das Richtige getroffen hat,« bemerkte Goethe, und ihm freundlich die Wange streichelnd fügte er hinzu: »Du mußt ja am besten wissen, wie so einem Bürschchen, das der Vater zur Nachtzeit vor sich auf dem Pferde in den Armen hält, zumuthe ist, wenn der Erlkönig ihn verlockt. Außerdem aber müssen wir auch zugeben, daß der Erlkönig als ein Geisterkönig jede beliebige Stimme annehmen und nach seinem Gefallen erst sanft und einschmeichelnd, und dann wieder drohend und zornig singen kann.«

Hummel forderte den Knaben auf, mit ihm vierhändig auf dem Flügel zu phantasiren, wo sie abwechselnd Themas angaben. Goethe hörte mit lebhaftem Antheil zu, und nachdem er dem Knaben aufmunternd [261] gesagt: er möge gute Freundschaft mit Zelter und seinem jungen Freunde Felix Mendelssohn halten, äußerte er gegen Hummel die bedeutsamen Worte: »Ursprüngliches Talent, das ist Wasser auf meine Mühle.«


Note:

1 Doch! Schon seit 1816.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1827. 1827. Mit Friedrich Förster nebst Familie u.a.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A491-0