1829, 2. October.


Mit Andreas Eduard Kozmian

Kozmian hatte Besuch bei Ottilie v. Goethe gemacht, die ihn aufgefordert hatte, abends 7 Uhr zu ihrem Schwiegervater zu kommen, wo große Gesellschaft sei. Dann fährt er fort:

Zur festgesetzten Zeit stand ich mit dem Herrn v. Vatowski vor dem Hause des Verfassers des »Faust«. Es befand sich damals gerade in Weimar Graf Reinhard mit seiner jungen und schönen Gemahlin, der französischer Gesandter beim Deutschen Bunde war, einer der ältesten Freunde Goethe's ..... Graf Reinhard war bloß deshalb nach Weimar gekommen, um seinen hohen Freund zu besuchen. Diesem Gaste zu Ehren versammelte Goethe alle Abende einen zahlreichen Kreis geladener Gäste um sich. Als wir in den Saal eintraten, fanden wir die Gesellschaft schon zumtheil versammelt und wurden von Frau v. Goethe bewillkommt. [175] Nachdem wir etwas gewartet hatten, öffnete sich die Thür des Nebenzimmers; der Diener an der Thür rief mit lauter Stimme: Herr von Goethe! und es zeigte sich in der Thür die hohe, edle, ehrfurchtgebietende Gestalt des Dichters. Alle erhoben sich, während er langsamen Schritts zu uns herankam. Der Eindruck, den ich erfuhr, war ein mächtiger und mir bis dahin unbekannter; einen ähnlichen habe ich nur noch einmal später gehabt, als ich das Meer erblickte.

Als wir ihm vorgestellt wurden, bewillkommte er uns freundlich, aber mit der ihm eigenen Würde eines Herrschers. Die Deutschen haben die Schönheit seiner Jugend sowie die seines Alters bewundert und gerühmt, daß er in seiner Vollkraft der Apollo von Belvedere, im Alter der olympische Zeus gewesen sei. Inderthat: es war der schönste Greis, den ich in meinem Leben zu sehen Gelegenheit hatte, schon sowol wegen seiner majestätischen Gestalt, als durch sein ausdrucksvolles Gesicht. Wundersame Geisteskraft leuchtete aus seinen Zügen, zumal aus den Augen und von der Stirn. Die drei Falten, die seine Stirn durchfurchten und sich bis zu den Augen hinzogen, waren der deutlichste Ausdruck des Genius; aus ihnen schienen die Funken seines Geistes zu sprühen.

Als wir uns setzten, begann die Unterhaltung, die französisch geführt wurde. Er sprach gut, doch drückte er sich langsam aus. Will man wirklich Goethe hören, so muß man mit ihm in seiner Muttersprache reden. [176] Den Gegenstand des Gesprächs bildete die französische Literatur, das Werk Wilhelm Schlegels über die dramatische Poesie und Micklewicz; dieser war vor uns in Weimar gewesen, und hatte Goethe und seine Schwiegertochter kennen gelernt, war auch mehrere Male ihr Gast gewesen, und hatte in hohem Grade ihre Aufmerksamkeit erregt. Etwas Trauriges und Geheimnißvolles, das in seinen Zügen lag, rief das Gefühl der Theilnahme und des Interesses bei allen hervor, die ihn kennen lernten; man fragte uns nach seinen Schriften und nach Details von seinem Leben.

Leider waren wir an diesem Abend noch zu Hofe gebeten, und so konnten wir trotz des besten Willens bei dem Dichter nicht länger verweilen. Es kamen immer noch mehr Gäste, seine Aufmerksamkeit ward getheilt, da ihn der Empfang derselben abzog; so verabschiedeten wir uns denn von ihm, ihm Danksagend, daß er uns den Zutritt zu sich verstattet habe. Er nahm unsern Dank freundlich an und forderte uns auf, bei der Rückreise aus Paris Weimar nicht zu umgehen und ihn wieder zu besuchen.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1829. 1829, 2. October. Mit Andreas Eduard Kozmian. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A493-C