b.

Wie Goethe sich in die farbenprächtige und wahrheitsvolle Idealwelt dieser altdeutschen Bilder [der Boisserée'schen Sammlung], in die überraschende Ursprünglichkeit ihrer Gedanken hineinlebte und über die empfangenen Eindrücke sich äußerte, ist für den alten Herrn im hohen Grade charakteristisch. Er betrachtete die Bilder nicht wie sie eins neben dem andern an der Wand hingen, er ließ sich immer nur eins, abgesondert von den andern, auf die Staffelei stellen und studirte es, indem er es behaglich genoß und seine Schönheiten, unverkümmert durch fremdartige Eindrücke von außen, sei es der Bilder oder Menschenwelt, in sich aufnahm. Er verhielt sich dabei still, bis er des Gesehenen, seines Inhalts und seiner tieferen Beziehungen Herr zu sein glaubte, und fand er dann Anlaß, Personen, die er liebte und schätzte, gegenüber seinen Empfindungen Ausdruck zu geben, so geschah es in einer Weise, die alle Hörer zwang. – Es war vor dem Bilde der Anbetung der heiligen drei Könige [von Johann Schwarz?], das damals für einen Van Eyck galt, da sagte er: »Das ist lauter Wahrheit und Natur; man kann von der [146] Ruine zum Bilde und umgekehrt vom Bilde zur Schloßruine wandern und fände sich hier wie dort in gleich ernster Art angeregt und gehoben.« – »Da hat man nun,« äußerte er ein ander Mal, »auf seine alten Tage sich mühsam von der Jugend, welche das Alter zu stürzen kommt, seines eignen Bestehens wegen abgesperrt, und hat sich, um sich gleichmäßig zu erhalten, vor allen Eindrücken neuer und störender Art zu hüten gesucht, und nun tritt da mit einem Male vor mich hin eine ganz neue und bisher mir ganz unbekannte Welt von Farben und Gestalten, die mich aus dem alten Gleise meiner Anschauungen und Empfindungen herauszwingt – eine neue, ewige Jugend; und wollte ich auch hier etwas sagen, es würde diese oder jene Hand aus dem Bilde herausgreifen, um mir einen Schlag ins Gesicht zu versetzen, und der wäre mir wohl gebührend.« ..... – »Wie ganz anders muß zu Eyck's Zeit,« sagte er, »das Kunstleben und die Kunstliebe geblüht haben! Jetzt verschlingt der schlechte Luxus alles.« Und vor dem Bilde des Todes der Maria, das man für einen Jan Schoorel hielt, bemerkte er treffend: »aus dem schlägt uns die Wahrheit wie mit Fäusten entgegen!« – Die Bezeichnung »byzantinisch-niederrheinisch«, welche Goethe auf diese Bilder, namentlich das der heiligen Veronica anwandte, war nur eine unglückliche, keineswegs eine solche, wie man hat behaupten wollen, die ihn verhindert hätte, das Richtige zu erkennen; er nannte eben byzantinisch, was eine spätere, [147] kaum weisere Schulsprache mit »romantisch« glaubte benennen zu müssen, und mit den bestimmtesten Worten sprach er es ebenso mündlich aus, wie er es schriftlich im 1. Heft von »Kunst und Alterthum« wiederholt gethan hat, daß in diesen Kölnischen und andern niederrheinischen Bildern eine Kunstentwickelung von solcher Selbständigkeit und so sehr von ächt deutschem Sinn und Ursprung gegeben sei, daß wir nicht nöthig hätten, italienischen oder andern fremdländischen Einfluß anzunehmen. In jenen geweihten Augenblicken, wo er vor den Bildern saß, ließ Goethe sich nur ungern durch Besuche stören, denen er ein tieferes Interesse daran nicht zutraute, und wie schätzbar die Personen ihm sonst auch sein mochten, er suchte sich ihrer auf irgend eine zulässige Art zu entledigen. Wenige Tage nach seiner ersten Ankunft (es wird am 26. September gewesen sein), ließ Frau v. Humboldt sich bei den Boisserées melden, als eben Goethe in der Sammlung vor dem Bilde des heiligen Lukas, der die Madonna mit dem Kinde malt [von van Eyck], saß. »Es steht Ihnen eine Überraschung bevor,« sagte Bertram, als er zu Goethe ins Zimmer trat. »Eine Überraschung? Herr! Sie wissen, wie sehr ich die Überraschungen liebe. Wer ist es?« »Frau v. Humboldt!« »F-r-a-u v-o-n H-u-m-b-o-l-dt? Sie möge kommen!« Und dabei veränderte sich Goethes Gesicht von oben bis unten, indem es die langweiligste Grimasse annahm, Frau v. Humboldt öffnete die Thüre, und [148] die Arme ausbreitend rief sie: »Goethe!« Dieser erhob sich ruhig von seinem Sessel, bat sie, sich neben ihn zu setzen. »Wissen Sie, wie man Salmen fängt?« fragte er. »Nein!« erwiderte ganz verwundert über solchen Empfang Frau v. Humboldt. »Mit einem Wehr fängt man sie,« fuhr er fort. »Sehen Sie! solch ein Wehr haben diese Herren« (auf Boisserées zeigend) »mir gestellt, und sie haben mich gefangen. Ich bitte Sie: machen Sie sich schnell auf und davon, daß es Ihnen nicht geht, wie mir. Ich bin nun einmal gefangen und muß hier sitzen bleiben und anschauen, aber das wäre nichts für Sie. Machen Sie also, machen Sie, daß Sie fortkommen.« – Frau v. Humboldt, die nicht gekommen war, Bilder anzuschauen, sondern in dem großen Mann einen alten Bekannten zu begrüßen und mit ihm zu plaudern, sah sich wider ihren Willen gleichsam zur Thür hinausgeschoben und entfernte sich, worauf Goethe zu seinen Freunden sagte: »Nun kommen Sie! Jetzt soll uns nichts mehr stören.« Doch verschmähte es Goethe nicht, die Huldigung der geistreichen Frau bei gelegenerer Zeit anzunehmen, als er in den nächstfolgenden Tagen zweimal bei ihr in Abendgesellschaft erschien.

Wiederholt war Goethe auch im Hause bei Voß, dem Übersetzer des Homer, den er vor vielen hochschätzte. Die schlichte Gutmüthigkeit der Hausfrau des berühmten Professors gab Anlaß zu manchem launigen Scherz. Goethe folgte ihr überall hin willig, als sie ihn bei [149] seinem ersten Besuch an allen Orten und Enden ihres Hauses herumführte und ihm auch das unbedeutendste Winkelchen, zuletzt selbst den Gänsestall unter der Treppe zeigte. »Sie sind ja nun einmal ein Mann, der in allen Dingen Bescheid weiß,« sagte sie, als er das nächste Mal wiederkam, »und so mögen Sie denn auch einen Streit schlichten, der zwischen mir und meinem Mann über ein Stück Camelot entstanden ist.« »Nun, so bringen Sie das Zeug her!« rief Goethe. Sie brachte es, indem sie bemerkte: »Mein Mann will einen Schlafrock daraus haben und ich einen Vorhang für sein Büchergestell; ich halte das letztere für nöthiger, weil die Bücher durch den Staub zu Grunde gehn.« »Ei was!« erwiderte Goethe, »was zanken Sie sich darum! Theilen Sie das Stück und machen Sie Ihrem Mann statt des Rocks nur ein Camelotjäckle, und aus dem andern Stück können Sie ein Vorhängle für die Bücher machen.«

Bald darauf kam Voß zu den Boisserées, als sich gerade Goethe im Bildersaal befand. Man meldete diesem seine Ankunft. »Laßt ihn nur herein!« rief Goethe; »dem will ich sein Camelot anstreichen!« Als Voß eingetreten war, begann Goethe mit ihm angesichts der Bilder über den Unterschied der bildenden und dichtenden Kunst zu sprechen, wobei gar manches geistreiche und treffende Wort gewechselt wurde, und zwar soll, was Goethe bei dieser Gelegenheit über Wesen und Zweck der bildenden Kunst sagte, über alle Beschreibung [150] köstlich gewesen sein. Er erkannte halb im Scherz, halb im Ernst der bildenden Kunst den Vorzug zu, indem er fortfuhr: »Ich bin ein großer Freund von Homer, das wissen Sie, und von Ihnen kann ich ein Gleiches sagen. Wenn Sie nun heute damit zu mir kommen, so bin ich es auch zufrieden und höre es abermals an, wenn Sie aber das dritte Mal kommen, so sage ich: Laufen Sie zum Teufel! Schenkt man Ihnen aber einen ächten Raphael, oder auch nur eine gute Copie eines solchen, so hängen Sie das Bild gewiß dahin, wo Sie es alle Tage sehen können, und Sie werden es, sooft Sie davortreten, mit immer neuem Vergnügen betrachten. Das ist der Unterschied der Poesie und der bildenden Kunst, daß diese auf solche Weise immer neu, frisch und lebendig vor unsre Sinne tritt.« Voß wußte hierauf nichts zu antworten. »Wäre ich an seiner Stelle gewesen,« sagte Goethe, indem er dies erzählte, »ich würde schon gewußt haben, was ich antworten soll.«

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1814. 1814, zwischen 24. September und 9. October.: In Heidelberg. b.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A496-6