1791, 8. October.


Bei Christoph Martin Wieland

(Nach einem Abendessen bei Wieland, am 8. Oct. 1791.)

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Über die Ursachen wurde gesprochen, warum man in hiesiger Gegend so wenig erträgliche Gesichter unter den Bauernmädchen fände. Wieland fand die vorzüglichste in dem vielen Kuchenfressen, da es jährlich wohl acht Festtage giebt, wobei der Magen mit Kuchenteig vollgestopft wird. Goethe bemerkte, daß die hier überall gewöhnliche Sitte, jede Last auf dem Rücken zu schleppen, den Körperwuchs zerdrücke und platte Physiognomien hervorbringe. Bei den alten Griechen und in Italien trügen die Mädchen alles auf dem Kopf. Es gebe eine sehr angenehme Form im Umrisse, ein schlankes Mädches mit einem gut geformten Wasserkruge auf dem Kopfe mit größter Leichtigkeit einhergehen zu sehen. In Italien gebe es auch, die Seehäfen ausgenommen, selbst unter dem männlichen Geschlechte wenig Lastträger und Crocheteurs. Der ärmste Kohlgärtner halte doch seinen Esel, den er früh mit Gewächsen beladen hereintreibe und dafür den Dünger empfange, den er wieder in sein Gärtchen aus der Stadt hinausschleppe.

[125] Goethes Erzählung von dem, aus zwei natürlichen Felsen gehauenen Theater von Taormina in Sicilien. Die Alten benutzten die Natur zu solchen großen Werken, daher Goethe auch die Geschichte mit dem Sosthenes, der dem Alexander die architektonische Gasconade gemacht haben soll, nicht so ganz unwahrscheinlich fand. (Le voyage par Mr. Hovel sehr empfohlen.) Übrigens versicherte mich [Böttiger] Goethe, was ich auch von andern Reisenden so oft bestätigt gehört habe, daß unser den niedern Volksklassen in Italien noch fast durchaus die Sitten, Denkart und Gebräuche wiedergefunden werden, wie wir sie in den alten Schriftstellern bezeichnet finden. Auch die Religion ist überall auf heidnische Superstition gepflanzt. – Vom ungesunden Klima in Rom. Überall giebt es Häuser daselbst, die wegen der Malaria nicht bewohnt werden. Oft ist es jedoch nur Vorurtheil. Man könne mit Recht sagen, daß die Römer aus Drang und Noth Welteroberer geworden wären, weil es ihnen zuhause in ihrem inficirten Neste nicht gefallen konnte. Doch sei es glaublich, daß bei der stärkeren Cultur der campagna di Roma vorzeiten das Klima weniger Krankheitsstoff in sich gehabt habe. – Einige Engländer haben den Einfall gehabt, die Tiber in ein andres Bette um Rom herumzuleiten, um in ihrem ausgetrockneten Bette Schätze versenkter Alterthümer wiederzufinden.

Es ist dies ein, der Lage Rom's nach, unmögliches Unternehmen. Die Tiber hat übrigens gewiß allein[126] den ältesten Bewohnern Rom's Anlaß gegeben, das auf dem hohen Berg göttlich liegende Alba zu verlassen und sich in diesem Sumpfloch anzusiedeln, welches ohne diesen Beweggrund ein Unternehmen von lauter Tollhäuslern gewesen wäre.

Goethe bereiste Italien vorzüglich der Kunst wegen seinem Kennerauge ist hier nichts entgangen. So wurde z.B. die Frage aufgeworfen, wie die Alten bei ihren Riesengebäuden die ungeheuern Steinmassen in solche Höhen hinaufgebracht hätten. Hier sagte Goethe, daß er in Sicilien einen unvollendeten Tempel gesehn hätte, wo an den Quadersteinen noch auf beiden Seiten die Henkel sichtbar gewesen wären, um welche man die Seite geschlungen und die man alsdann beim Aneinanderpassen abgeschlagen habe. Übrigens habe man lauter solche schneckenförmig auflaufende Gerüste gehabt, wie sie in Merian's Bilderbibel noch um den babylonischen Thurm herum zu sehen wären. – Goethe bewundert auf den alten Münzen die schönen festen Umrisse aller Formen, z.B. auf den Münzen von Tarent den Delphin. Aber auch hier hat er über Verhältnisse und Proportionen treffliche Beobachtungen angestellt. So frappirte ihn z.B. lange die Bildung eines Menschenkopfes an einem Stierleib auf mehren Münzen des untern Italiens, wo ein schönes Menschengesicht doch einzig auf den Körper eines Ochsen paßt. Allein das Geheimniß besteht darin, daß der Künstler zwischen den festen hervorstehenden Theilen des Gesichts [127] ungewöhnlich verlängerte Zwischenräume angebracht hat, sowie im Gegentheil beim non plus ultra weiblicher Schönheit, der Mediceischen Venus, jene Zwischenräume außerordentlich verkürzt sind.

Es ist Wonne, Goethe über solche Gegenstände mit lichtvoller Präcision sprechen zu hören.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1791. 1791, 8. October. Bei Christoph Martin Wieland. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A51E-0