1794, 7. November.


Über Voßens Iliasübersetzung

Zweiter Gesang.

Goethe hatte bei einer vorausgehenden Durchlesung die Bemerkung über den Catalogus navium gemacht, daß Homer nach einer fest angenommenen Rangliste die Völkerschaften sich nebeneinander stellen lasse. Dies erhelle ganz deutlich daraus, daß er da, wo die Myrmidonen jetzt nicht standen, weil sie mit dem Achill still saßen, sie doch in Reih und Glieder stellt V. 681 bis 694. Die hier von der Rechten zur Linken gehende Ordnung war also beim Dichter nicht willkürlich, sondern er singt nach Stammsagen und empfangenen Registern. Agamemnon führt allem Anschein nach das Corps de bataille. Zugleich wurde nach d'Anville's Karte von Griechenland der Weg aufgespürt, in welchem Homer bei der Aufzählung geht. Er fängt mit Aulis an und macht einen doppelten Kreis.

Diesmal war Wieland bei der Vorlesung, der auch in seinem kleinen Bergler'schen Homer, so gut es gehen wollte, nachlas. Dieser war äußerst streng gegen Voß und gab besonders darüber seinen Unwillen zu erkennen, daß er oft bloß die natürlichste Art der Überlieferung darum verworfen habe, um nicht einerlei mit seinem Vorgänger zu sagen. Besonders ärgerte er sich über [163] das häufig vorkommende »Jener sagt's«, z.B. V. 84, da doch das »Jener« in Relation mit dieser stehen müßte im Homer aber das hôs ephat' dies gar nicht sagen wolle. Goethe las also von nun an, um Wieland's Ohr zu schonen, immer »also sprach er.« Auch rügte Wieland das Willkürliche im Gebrauch ober Nichtgebrauch der Homerischen Conjunctionen. So habe z.B. Voß selten das epei gesetzt, wo es im Griechischen stehe. Ferner die Auflösung des Adjectivs als Beiwort in ein neues Substantiv, z.B. 89 anthesin eiarinoisin wo Voß übersetzt: »Blumen des Frühlings.« Wieland behauptete nach einem sehr richtigen Gefühl, daß »lenzische Blumen« weit individueller und malerischer sei, als jene Zerstückelung in zwei Begriffe.

Stellen, wo der griechische Ausdruck in der Übersetzung nicht erschöpft ist, V. 117 katelyse karêna, 132 plazousi, 148 epaigizôn; diotrepheos bei »König« [196] sei gar nicht das Voßische weit verkünstelte »Götterbeseligt;« 266 thaleron dakry, 269archeion, 399 kapnissan, 595 antomenai mißbilligte Goethe »fanden«.

V. 209, 210. Hier hat Voß ein Paar Hexameter im Klopstockischen Silbentanz sehr passend angebracht, wie Goethe bemerkte.

V. 225-43. Das herrlichste Original einer sansculottischen Demagogenrede. Auch Voß ist mit guter Absicht hier etwas niedriger in seinem Ausdrucke geworden.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1794. 1794, 7. November. Über Voßens Iliasübersetzung. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A562-1