1800, Ende.
Mit Johann Heinrich Voß
Wer von Goethe (wie es Bürger that) eine weichliche Hingiebigkeit erwartet, ein zärtliches, Entgegenkommen und ein herzliches Anschmiegen, der wird gewöhnlich betrogen. Ich [Heinrich Voß] kann mein eignes Beispiel anführen, da ich, als ich Schiller soeben verlassen hatte, vor drei Jahren zuerst zu Goethe kam und ihn ebenso erwartete. Ich warb zurückgestoßen durch sein Auge; ich fühlte mich zu klein, zu schwach, mit Einem Worte: es war der Eindruck einer gewaltigen Masse auf das unvorbereitete Auge. Ich verließ ihn voll Ehrfurcht, aber konnte ihn nicht lieben. Nachher sah ich ihn öfters auf Augenblicke, konnte aber nie meine Schüchternheit überwinden, noch mein reines Zutrauen erwecken. Als mich nun Goethe [206] als Lehrer der Weimarer Schule in Vorschlag brachte und mein Vater deshalb herüber [von Jena nach Weimar] reiste, sagte Goethe zu ihm: nun solle er mich einmal auf drei Tage hinüberschicken; er kenne mich freilich wol, aber doch nur oberflächlich; denn ich sei immer so schüchtern und einsilbig gegen ihn gewesen. Denke Dir meine Freude, als mein Vater mir das wiedersagte und mir hierdurch die Gewißheit gab, von nun an alle Schüchternheit fahren lassen zu dürfen.
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