1827, October.


Mit Johann Andreas Stumpff

Als ich Goethe im October des Jahres 1827 einen zweiten Besuch abzustatten die Ehre hatte, so empfing er mich als einen Freund und sagte mir, daß es ihm sehr angenehm sein würde, wenn ich ihn jeden Abend besuchen wolle, so lange ich in Weimar verharren würde. Dies war mir sehr erwünscht; ich mußte ihm viel von London, besonders von den dort lebenden Künstlern, Bildhauern und Malern erzählen und die Namen der vorzüglichsten nennen, welche er sich notirte. Unter [254] anderem fragte mich Goethe: »Womit beschäftigen Sie sich denn in Ihren Erholungsstunden in London?« Über diese Frage war ich etwas verlegen, doch ich antwortete rasch: Dann reite ich mein Steckenpferd. Goethe schien verwundert über meine Antwort und fragte: »Darf man wohl wissen, was das Ihrige ist?« Ich bat um die Erlaubniß bemerken zu dürfen, daß man in keinem Lande der Welt mehr darauf bedacht sei mit Maschinen zu arbeiten, als in England, und daß diejenigen, die sich solche anschaffen und im Gange erhalten könnten, sich große Reichthümer erwerben könnten; ich habe mir deshalb, da Tausende darauf bedacht sind, auf diese Art ihr Glück zu machen, und da ich deshalb fast nichts als Maschinen vor Augen sehe, vor kurzem die Dampfmaschine zum Gegenstand eines Gedichts ›Der Kampf der Elemente‹ gemacht. Goethe schien erstaunt zu sein und wünschte diesen poetischen Versuch zu sehen. Ich überreichte denselben am folgenden den Tage. Goethe ersuchte mich, das Gedicht selbst zu lesen; er stand neben mir ganz aufrecht, mit voller Aufmerksamkeit zuhorchend, ich las daher ohne Furcht und hob die kräftigsten Stellen hervor, Goethe klopfte mich mehrere Male auf den Arm und sagte: »Gut, gut! Das ist brav! Haben Sie die Güte mir das Gedicht zu lassen;« und fügte hinzu: »Haben Sie mehr solche Verse geschrieben?« O ja, Excellenz! – antwortete ich – aber ich habe sie niemandem gezeigt aus Furcht, man möchte darüber spötteln. »Nein, [255] mein Freund!« sagte Goethe; »schicken Sie mir Ihre Versuche zu; es liegt ein unbebautes Feld in Ihrer Brust, und es ist Pflicht, solches zu bebauen.-Da ich Sie, mein werther Landsmann, in den Zirkel meiner Freunde aufgenommen, so werde ich Ihnen einen Maler auf den Hals schicken und Ihr Bild meinem Stammbuch einverleiben, welches aus den Portraits meiner Freunde zusammengesetzt ist, die ich nicht selten mustere, um so im Geiste alle, die mir auf Erden schätzbar waren, die Dahingeschiedenen und die durch große Entfernungen Getrennten, zu sehen.« 1


Note:

1 Von Stumpff's in Nr. 5 des »Chaos« von 1831 abgedrucktem Gedicht »Der Kampf der Elemente« hat Goethe die Zeilen 4, 10, 19, 20 und 27 abgeändert.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1827. 1827, October. Mit Johann Andreas Stumpff. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A613-D