1824, 28. September.
Mit Bettina von Arnim geb. Brentano
Abends 6 Uhr in Weimar eingetroffen, Goethe allein in weißem Schlafrock von mir überrascht, bei einer Karlsbader Wasserflasche und einem eisernen[124] Küchenleuchter. Er unterhielt sich sehr gut bei meiner Beschreibung von Rödelheim ..... Von Guaita's Bürgermeisterschaft verlangte er auch eine Relation; er sagte, er habe eine wahre Anhänglichkeit an die Verfassung seiner Vaterstadt, die zugleich auch einen poetischen Grund habe, und es sei ihm lieb, von mir bestätigt zu hören, was ihm schon von andern mitgetheilt sei, daß Guaita der Mann sei, der auf ihre Rechte und ihre Gebräuche den wahren Werth zu lesen wisse. Da ich ihn fragte, warum er denn das Bürgerrecht aufgegeben, da er doch denken könne, daß dieß den Frankfurtern höchst kränkend sein müsse, sagte er: »die mir dazu riethen, sind Meister dieser Sache; es ist ihre eigene Zukunft und nicht die meinige. Ich habe nie den Übermuth gehabt, gegen den Willen meiner Kinder etwas für ihre Existenz als wichtig zu behaupten oder durchzusetzen. Wenn mich jemand früge, wo ich mir den Platz meiner Wiege bequemer, meiner bürgerlichen Existenz gemäßer, oder meiner poetischen Ansicht entsprechender denke, ich könnte keine liebere Stadt, als Frankfurt nennen; sie hat das edelste Verhältniß und das bedeutendste zur Geschichte unserer Tage; sie ist gerade groß genug, daß sie die Ambition eines jungen, regsamen Gemüthes befriedige; sie hatte zumwenigsten in meiner Zeit eine lebendige Theilnahme, durch die ich allein zu meiner Entwickelung kam, und meiner Mutter, die vielleicht in jeder andern Stadt ein trübes, einsames Leben geführt hätte, ist bis in ihr spätestes [125] Alter geehrt und geliebt von allen Mitbürgern, ein glückliches Leben zutheil geworden. Sie hat sich oft darüber in ihren Briefen gegen mich geäußert, und ich, der ich für ihr Dasein so wenig thun konnte, war dadurch sehr erleichtert und werde gewiß jedem Frankfurter, der mir nahe kommt, meinen Dank in der freundlichsten Gesinnung in Vergeltung bringen.« – Ich mußte ihm nun noch alle einzelne Familienglieder und deren Nachkommenschaft hernennen .....
Die beiden Mädchen mit der alten Claudine [Brentano] (Piautaz) hab' ich ihm auch beschrieben. Sophie mußte zu einer Vergleichung der jüngsten Sibylle des Pietro Perugino herhalten, während Claudine [Brentano], die Jüngere, einem schönen Portrait des Vandyck, das Goethe kennt, ihre Vergegenwärtigung zu danken hatte; zu Verschönerung des Rödelheimer Besitzes habe ich nichts beigetragen, als daß ich den kleinen grünen Nachen ganz vergoldet habe und ihm beschrieben, wie bei warmen Sommernächten der edelgebildete George [Brentano], seine melancholische Stimme mit der Guitarre begleitend, sich bei Mondenschein von seinen beiden Töchtern auf der Nidda rudern lasse, während die alte Claudine mit bescheidener, mütterlicher Vorsicht das Steuerruder lenke. Er fand dieß eine höchst malerische Situation zu einem Familienportrait, und ich versicherte ihm, daß es auch ganz und gar das gegenseitige Verhältniß der beschriebenen Personen ausdrücke. Und so hab' ich [126] denn auf einer Seite nicht gelogen; denn die glücklich liebenden Töchter eines so glücklichen Vaters bestreben sich ja allein, ihn sanft über die Wellen seines Lebensstromes hingleiten zu machen, und unsere Claudine verbringt ihre Tage im Segenerbitten und Sorgen für alle. George der Jüngere trat auf mit einem muthigen Engländer am Zaum und einem schönen Jagdhunde voll Witz und Übermuth, der es bei dem Familienfrühstück zu Buffotänzen und Kunstsprüngen zum Excelliren bringe. Die Miniaturen von George, von denen er genaue Relation haben wollte, waren über alle Beschreibung; ich habe ihm daher nur gesagt, daß die Compositionen sowol wie die Ausführung mit nichts Ähnlichem zu vergleichen seien, und das in jedem handgroßen Bilde eine Anordnung für ein wandgroßes sei. Das von [Ludwig] Grimm radirte Portrait unseres Franz hat er gesehen .....
Da ich Goethe erzählte, daß man ihn dieß Jahr in Winkel erwartet habe, und daß Toni [Brentano geb. v. Birckenstock] expreß ein Faß Zweiundzwanziger habe anstecken lassen für ihn, wurde er trocken im Halse und beorderte einen ziemlich trinkbaren Rambaß 1, der seine Wirkung nicht verfehlte. Er trank die Gesammtheit meiner sämmtlichen wunderlich liebenswürdigen Familie; ich stieß noch einmal apart auf die Burgermeisterschaft [127] Guaita's an. »Dieser möge jedoch nicht so seltsamliche Sprünge im Kopf haben, wie Du,« sagte er, »sonst könnte die gute Stadt Frankfurt eine zu krause Perrücke bekommen.« Ich bedeutete ihm, daß ich unter der gemäßigten Zuchtruthe seiner Kritik mich stets wohlbefunden, und daß die Frau Burgermeisterin Meline das schönste Exemplar eines pflichterfüllten Eheweibes sei und, so wie er im Rathe der Stadt, sie sich im häuslichen Kreise einzig auszeichne. – Hiermit befahl er mich zum Klavier, wo ich ihm die Lieder, die ich von ihm componirt, vorspielen sollte; der Kammerjungfer befahl er ein paar schönste silberne Leuchter, die in seinem Cabinet, wo er mehrere Gipsbüsten hat, stehen, zu holen; allein diese hielt die Büsten für Geisterköpfe, und wir gingen nun alle drei in Procession: ich mit dem Licht, Goethe mit dem Weinglas und die Kammerjungfer mit den Leuchtern; es wurden Wachslichter aufgesetzt und gesungen. Zu meiner Mortification gefiel ihm das Lied von Maxis componirt, welches ich ihm auch vorsang, am besten; er sagte: »Nun, das läßt sich hören; es ist einfach und edel componirt, und die Melodie prägt sich meinem Gehör ein.« Ich mußte es mit allen Versen zweimal singen und für seine Schwiegertochter abschreiben.
1 Rambaß (Rambas, Rampas) nennt man in der Maingegend in etwas despectirlicher Weise einen mittelmäßigen Wein.