1831, 18. März.


Mit Johann Peter Eckermann

Mit Goethe zu Tische. Ich bringe ihm ›Daphnis und Chloe‹, welches er einmal wieder zu lesen wünscht.

Wir reden über höhere Maximen, und ob es gut und ob es möglich sei, sie andern Menschen zu überliefern. »Die Anlage, das Höhere aufzunehmen,« sagte Goethe, »ist sehr selten, und man thut daher im gewöhnlichen Leben immer wohl, solche Dinge für sich zu behalten und davon nur so viel hervorzukehren, als nöthig ist um gegen die andern in einiger Avantage zu sein.

Wir berühren sodann den Punkt, daß viele Menschen, besonders Kritiker und Poeten, das eigentlich Große ganz ignoriren und dagegen auf das Mittlere einen außerordentlichen Werth legen.

[49] Der Mensch,« sagte Goethe, »erkennt nur das an und preist nur das, was er selber zu machen fähig ist, und da nun gewisse Leute in dem Mittleren ihre eigentliche Existenz haben, so gebrauchen sie den Pfiff, daß sie das wirklich Tadelnswürdige in der Literatur, was jedoch immer einiges Gute haben mag, durchaus schelten und ganz tief herabsetzen, damit das Mittlere, was sie anpreisen, auf einer desto größern Höhe erscheine.«

Ich merkte mir dieses, damit ich wissen möchte, was ich von dergleichen Verfahren künftig zu denken.

Wir sprachen sodann von der ›Farbenlehre‹, und daß gewisse deutsche Professoren noch immer fortfahren ihre Schüler davor als vor einem großen Irrthum zu warnen.

»Es thut mir nur um manchen guten Schüler leid,« sagte Goethe, »mir selbst aber kann es völlig einerlei sein; denn meine Farbenlehre ist so alt wie die Welt und wird aufdielänge nicht zu verleugnen und beiseite zu bringen sein.«

Goethe erzählte mir sodann, daß er mit seiner neuen Ausgabe der ›Metamorphose der Pflanzen‹ und Soret's immer besser gelingenden Übersetzung gut fortschreite. »Es wird ein merkwürdiges Buch werden,« sagte er, »indem darin die verschiedensten Elemente zu einem Ganzen verarbeitet werden. Ich lasse darin einige Stellen von bedeutenden jungen Naturforschern eintreten, wobei es erfreulich ist, zu sehen, daß sich jetzt in Deutschland unter den Bessern ein so guter Stil [50] gebildet hat, daß man nicht mehr weiß, ob der eine redet oder der andere. Das Buch macht mir indeß mehr Mühe als ich dachte; auch bin ich Anfangs fast wider Willen in das Unternehmen hereingezogen, allein es herrschte dabei etwas Dämonisches ob, dem nicht zu widerstehen war.«

»Sie haben wohl gethan,« sagte ich, »solchen Einwirkungen nachzugeben; denn das Dämonische scheint so mächtiger Natur zu sein, daß es am Ende doch recht behält.«

»Nur muß der Mensch« – versetzte Goethe – »auch wiederum gegen das Dämonische recht zu behalten suchen, und ich muß im gegenwärtigen Fall dahin trachten, durch allen Fleiß und Mühe meine Arbeit so gut zu machen, als in meinen Kräften steht und die Umstände es mir anbieten. Es ist in solchen Dingen wie mit dem Spiel, was die Franzosen Toccadille 1 nennen, wobei zwar die geworfenen Würfel viel entscheiden, allein wo es der Klugheit des Spielenden überlassen bleibt, nun auch die Steine im Bret geschickt zu setzen.«


Note:

1 Nicht: Codille.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1831. 1831, 18. März. Mit Johann Peter Eckermann. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A686-9