1824, 20. Januar.


Mit Friedrich von Müller

Ich war zu Mittag bei ihm, bloß Ulrike und Walther speisten mit.

Die Jenaischen Jubiläumsfestlichkeiten und Gedichte auf Lenz gaben den nächsten Stoff zum Gespräch. Er fand viele Freude an dem handschriftlichen Gedicht eines Studenten aus Gotha: der Dichter habe sich den Überblick seines ganzen reichen Gegenstandes verschafft, und nur so könne man etwas Tüchtiges leisten.

Vom künftigen Jubelfeste des Großherzogs, 3. September 1825, sprachen wir viel, da mir daran gelegen war seine Ideen zu erforschen. Ich schlug Medaille, Triumphbogen, Versammlung von Deputirten aus allen [14] Ortschaften vor. Zur Medaille, wenn das Bild des Fürsten darauf geprägt werden sollte, meinte er, bedürfe es durchaus der Einwilligung des Großherzogs selbst. Überraschung dürfe ohnehin bei einem Fürsten nicht statuirt werden.

Die Idee des Triumphbogens am Eingange des Schloßhofes sprach ihn sehr an, Repräsentanten des Landes aber seien langweilig, wenn nicht schöne Repräsentantinnen dazu kämen.

Nach Tische sprachen wir wohl noch anderthalb Stunden stehend. Er war sehr gemüthlich und heiter. Der Zustand der Mineralogie sei jetzt gar zu wunderbar. Leonhard und andere, die früher auf rechtem Wege gewandelt, hätten sich selbst zu überbieten gesucht und verirrt. Mit Recht nenne man die pyhsikalischen Wissenschaften die »exacten«, weil man die Irrthümer darin klar nachweisen könne. Im Ästhetischen, wo alles vom Gefühl abhänge, sei dies freilich nicht möglich. »Fürs Ästhetische bin ich eigentlich geboren, doch jetzt zu alt dazu, wende ich mich den Naturstudien immer mehr zu.«

Er zeigte ein schönes, dem Großherzoge verehrtes, antikes Schild, etwa aus dem sechzehnten Jahrhundert, und ein scherzhaftes Collectivgedicht von Tiefurter Genossen aus den Jahren 1780 an den damals mit ihm zu Ilmenau hausenden Herzog, das er jetzt erst aufgefunden und dem Erbgroßherzog zum 2. Februar zu verehren willens sei. Eine zierliche Dedication im [15] Lapidarstyl, eine erklärende Einleitung, ein Verzeichniß der verschiedenen Verfasser, gleichsam einen Theaterzettel; zum Schlusse hatte er sinnig dazu geschrieben, das Ganze elegant in dunkelrothes Maroquin-Papier mit grünseidenen Schleifen einbinden lassen. Viel erzählte er dann von »Alonzo et la révolution d'Espagne« 1, historischer Roman in vier Bänden á la Walter Scott, woraus er nun seit vierzehn Tagen viel Aufklärung über die innern Zustände Spaniens geschöpft. Er lobte die Darstellungsweise höchlich; mir rieth er ab, meine Zeit daran zu wenden und erweckte doch immer die Lust dazu von Neuem. Als ich ihn über die Schicklichkeit eines besonderen Gedichts für die englischen Dichtergestalten zum nahen Maskenballe befrug, billigte er meine Scrupel und schlug Mittheilung an Riemer zur Aufnahme in sein größeres Gedicht vor. Er sei selbst geneigt, wenn ein schönes Kind ihn darum begrüße, einige anonyme Verse zu spenden.

Lange war er nicht so redselig, so gemüthlich mittheilend, so ruhig heiter gewesen.


Note:

1 Salvandy's Roman heißt: Alonzo ou L'Espagne.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1824. 1824, 20. Januar. Mit Friedrich von Müller. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A6AF-2