b.

Gestern [24. Mai] Abend war ich in einer Gesellschaft bei Goethe und spielte den ganzen Abend allein: Concertstück, Aufforderung, Polonaise in C von Weber, drei wälsche Stück, schottische Sonate. Um zehn war es aus, ich blieb aber natürlich unter dummem Zeug, Tanzen, Singen u.s.w. bis zwölf, lebe überhaupt ein Heidenleben. Der Alte geht immer um neun Uhr auf sein Zimmer, und sowie er fort ist, tanzen wir auf den Bänken und sind noch nie vor Mitternacht auseinandergegangen.

[306] Morgen wird mein Portrait [gezeichnet von Schmeller für Goethes Bildnißsammlung] fertig; es wird eine große, schwarze, sehr ähnliche Kreidezeichnung, aber ich sehe sehr brummig aus. Goethe ist so freundlich und liebevoll mit mir, daß ich's gar nicht zu danken und zu verdienen weiß. Vormittags muß ich ihm ein Stündchen Clavier vorspielen von allen verschiedenen großen Componisten nach der Zeitfolge und muß ihm erzählen, wie sie die Sache weitergebracht hätten, und dazu sitzt er in einer dunkeln Ecke wie ein Jupiter tonans und blitzt mit den alten Augen. An den Beethoven wollte er gar nicht heran, ich sagte ihm aber, ich könne ihm nicht helfen, und spielte ihm nun das erste Stück der C-Moll-Symphonie vor. Das berührte ihn ganz seltsam. Er sagte erst: »Das bewegt aber gar nichts, das macht nur staunen; das ist grandios!« Und dann brummte er so weiter und fing nach langer Zeit wieder an: »Das ist sehr groß, ganz toll! Man möchte sich fürchten, das Haus fiele ein. Und wenn das nun alle die Menschen zusammen spielen!« – Und bei Tische, mitten in einem anderen Gespräch, fing er wieder damit an.

Daß ich nun alle Tage bei ihm esse, wißt Ihr schon. Da frägt er mich denn sehr genau aus und wird nach Tische immer so munter und mittheilend, daß wir meistens noch über eine Stunde allein im Zimmer sitzen bleiben, wo er ganz ununterbrochen spricht. Das ist eine einzige Freude, wie er einmal [307] mir Kupferstiche holt und erklärt, oder über »Hernani« und Lamartine's Elegien urtheilt, oder über Theater, oder über hübsche Mädchen. Abends hat er schon mehreremal Leute gebeten, was jetzt bei ihm die höchste Seltenheit ist, sodaß die meisten Gäste ihn seit Langem nicht gesehen hatten. Dann muß ich viel spielen, und er macht mir vor den Leuten Complimente, wobei »ganz stupend« sein Lieblingswort ist. Heute hat er mir eine Menge Schönheiten von Weimar zusammengebeten, weil ich doch auch mit den jungen Leuten leben müsse. Komme ich dann in solcher Gesellschaft an ihn heran, so sagt er: »Meine Seele! Du mußt zu den Frauen hingehen und da recht schönthun.«

Ich habe übrigens viel Lebensart und ließ gestern fragen, ob ich doch nicht vielleicht zu oft käme. Da brummte er aber Ottilie an, die es bestellte und sagte: er müsse erst ordentlich anfangen mit mir zu sprechen; denn ich sei über meine Sache so klar, und da müsse er ja vieles von mir lernen. Ich wurde noch einmal so lang, als Ottilie mir das wiedersagte, und da er mir's gestern gar selbst wiederholte und meinte, es sei ihm noch vieles auf dem Herzen, über das ich ihn aufklären müsse, so sagte ich »O ja!« und dachte: es soll mir eine unvergeßliche Ehre sein.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1830. 1830, 21. Mai bis Anfang Juni.: Mit Felix Mendelsohn-Bartholdy u.a.. b.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A6C5-E