1827, 28. oder 29. April. 1.


Mit Karl von Holtei u.a.

Während ich nun mit mir selbst capitulirte, wie ich mich bei Goethe einführen und wie ich am besten vermeiden könnte, eine gar zu alberne Figur zu machen, erinnerte ich mich plötzlich, daß ich ihm schon früher einige meiner versificirten Versuche zugesendet, und daß er mir durch unsern Wolff, sein ehemaliges theatralisches Schooskind, einige majestätisch-huldreiche Floskeln über das kleine Versspiel »Die Farben« hatte zustellen lassen. Er hatte, von meinen Arbeiten mit jenem redend, den bezeichnenden Ausdruck gebraucht: »Dieser [127] Mensch ist so eine Art von Improvisator auf dem Papiere; es scheint ihm sehr leicht zu werden, aber er sollte sich's nicht so leicht machen!« – Vielleicht, dacht' ich, giebt das den Anknüpfungspunkt für ein Gespräch; denn meine Angst, daß er nicht reden werde, (man hatte mir in Weimar zugeflüstert, er gäbe bisweilen, wenn er übler Laune sei, dergleichen stumme Audienzen!) war fürchterlich .....

Es schlug 11 Uhr, als ich [wie vorbeschieden] im Empfangzimmer stand, und ich blieb, nachdem der Diener mich hineingeschoben, einige Minuten mir selbst überlassen .....

»Nun, so ist es mir denn lieb, daß ich Sie auch einmal zu sehen bekomme!« Mit diesen Worten trat er ein und nahm, nachdem er mich zum Sitzen genöthigt, neben mir Platz. Verbindliche und möglichst schön gestellte Redensarten von meiner Seite schienen keinen Eindruck zu machen, wenigstens lockten sie keine Erwiederung hervor. Er führte den in Wohlgeruch gebadeten Zipfel seines weißen Tuches von Zeit zu Zeit an die Nase und ließ mich sprechen. Drei- oder viermal erneute ich den Angriff, immer prallt' ich wie von einer steinernen Mauer wieder ab. Je geistreicher ich zu sein mir Mühe gab, desto abgeschmackter mag ich ihm wohl geschienen haben; denn es dämmerte in mir selbst so etwas vom Bewußtsein eigener Gebrechlichkeit auf. Ein guter Geist gab mir die Erinnerung ein, daß ich in Paris den Duval'schen »Tasso« [128] spielen sehen; den macht' ich zu meinem Zauberstabe, – und, siehe da! der Fels gab Wasser. »Aus Paris kommen Sie? Und was machen uns're Freunde, die Globisten?« (Mitarbeiter an dem Journal Le Globe.) Auf diese Frage wußt' ich freilich verzweifelt wenig zu antworten, aber da sie andere Fragen erzeugte, in deren Beantwortung ich besser bestand, so kam doch bald einiges Leben in die einsame Stunde. Ich fühlte wieder Grund und Boden unter meinen Füßen. Je mehr ich mich gehen ließ, meinem natürlichen Wesen getreu, ohne weitere Ansprüche auf zarten Ausdruck, desto lebendiger wurde der alte Herr. Einige Male that er, als ob er lachen wollte, und als ich ihm erzählte, daß ein französischer Kritiker nach Aufführung des Duval'schen »Tasso« geschrieben hätte: M. Alexandre Duval, en estropiant le »Tasse« de Schiller, da lachte er wirklich. So wurde denn aus den zehn Minuten, die ich mir als längste Audienzfrist geträumt hatte, eine rasch genug durchplauderte Stunde. Als es zwölf Uhr schlug, erhob er sich und sprach: »Wenn der Prophet nicht zum Berge kommt, so muß der Berg zum Propheten kommen: da ich nicht mehr zu Hofe gehe, so erweisen die höchsten Herrschaften mir die Gnade; also will es sich ziemen, dieselben zu empfangen.« Dabei gab er mir ein Entlassungszeichen, welches ich, da ich nun erst in Zug gekommen war, wahrscheinlich mit sehr unzufriedener oder betrübter Miene aufnahm. Als ich schon an der Ausgangsthüre stand, rief er, als [129] ob er bemerkt hätte, wie schwer mir das Scheiden wurde, mich noch einmal zurück und sagte: »Wollen Sie mit uns speisen, so werden Sie um 2 Uhr willkommen sein.«

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Goethes Schwiegertochter Ottilie war unpäßlich; statt ihrer erschien deren Schwester Fräulein Ulrike v. Pogwisch bei Tafel. Außer August v. Goethe waren noch einpaar Herren zugegen – meines Bedünkens der Kanzler v. Müller und Professor Riemer. Der Alte sprach viel und trank nicht wenig. Die Unterhaltung war lebhaft, ungezwungen und ohne Prätension. Das Dessert stand noch nicht auf dem Tische, als ich mich schon vollkommen eingebürgert sah. Ich redete was mir in den Sinn kam, ohne Bedenken, ob es in Goethes Kram taugte oder nicht. Dies Verfahren beobachtete ich bei späterem Aufenthalte, wo ich häufig auch in größerer Gesellschaft dort speisete, unerschütterlich und kam damit am besten fort; denn ob ich mir gleich bisweilen – wie man sich auszudrücken pflegt – das Maul verbrannte, entging ich doch dem Vorwurf der Ziererei, den so viele in ähnlicher Lage auf sich geladen haben. – Gegen Ende der Tafel traten die Enkel Walther und Wolf, zwei muntere Knaben, ein und gaben, vom Großvater aufgefordert, allerlei Schwänke zum besten. Unter andern fangen sie auch einige Lieder aus meinen auf der Bühne gegebenen Stücken. Der Alte sagte dann, indem er ihnen [130] Näschereien reichte: »Nun, seht Euch einmal diesen Mann an! Das ist der, welcher das dumme Zeug gemacht hat.«


Note:

1 Nach Holtei's Erzählung in Verbindung mit Oppenheim's Brief im Goethe-Jahrbuch VI, 144 wäre der 4. Mai zu setzen; indessen stimmt dies nicht mit Ecker mann's wohl zuverlässigerer Angabe. Wiederum paßt jedoch Goethes Frage nach den »Globisten« nicht mit Ampère's damaliger Anwesenheit in Weimar. Vielleicht giebt einst Goethes Tagebuch, das zu benutzen mir versagt ist, zuverlässige Auskunft.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1827. 1827, 28. oder 29. April. 1 . Mit Karl von Holtei u.a.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A70A-6