a.

Ich bin abermals in Weimar gewesen bei dem Herrlichen und diesmal als Stubengenoß und Vicehofmeister seines August. wenn ich Ihnen [Boie] den Inbegriff dieser zehn Tage andeuten will, so muß ich sagen: ich bin sehr heiter und froh gewesen. Meine Hauptangelegenheit ist zu einem schönen Ende gefördert, und ich habe Goethe diesmal noch mehr genossen als das vorige Mal. Seine Aufnahme war so herzlich, [271] und was er mir in dieser Zeit Liebes erzeigt hat, kann ich nicht beschreiben. Er hat wie ein zärtlicher Vater für mich gesorgt; er sinnt recht darauf, mir einen angenehmen Aufenthalt zu verschaffen. Ich bin auch jetzt schon ganz eingewohnt daselbst; ich habe mir schätzenswerthe Bekanntschaften erworben und habe die Versicherung von Goethe und Schiller, daß mir ihr Haus jederzeit mit herzlicher Liebe offen stehen soll ....

Denken Sie! Ich bin Doctor philosophiae geworden und Gott weiß! was sonst noch ..... Wir saßen zu Mittage und hatten eben das letzte verzehrt, als Goethe einen Kuchen beorderte, »weil der Voß noch so hungrig aussähe«. Ich entschuldigte mich, aber es half nichts: der kleine August mußte hinausgehen und kam gleich daraus mit einer großen Schüssel wieder, die er mir auf den Kopf setzte mit dem abgedrungenen Versprechen, daß ich davon essen müßte. Ich versprach es und die Schüssel stand vor mir mit dem Doctordiplom. Mir ward von Vater und Sohn recht herzlich Glück gewünscht; darauf stellte sich bei Goethe die gute Laune ein, und er fing an zu scherzen. »Bis morgen Abend sei Er der Herr Doctor,« sagte er; »dann wollen wir Seine Gesundheit trinken und Ihm den Titel wieder abnehmen, damit Er wieder der gute Voß sei.« Nun bestellte Er zu meiner Doctorfeier eine Flasche von seinem besten Champagner, die ich mit ihm bis zum letzten Tropfen (fast zum Schwindlichtwerden) ausleerte. Nachher gingen wir einige Stunden im Park spazieren, und [272] da war Goethe ganz allerliebst munter. Es ist kein Gegenstand, der seiner Aufmerksamkeit entgeht; in alles bringt er Geist und Leben, und wenn er auch von entlegenen Dingen redet, so nimmt er doch die um ihn her liegenden und wechselnden Gegenstände zu Hülfe, um seine Gedanken in sie einzukleiden. Nie braucht er je ein anderes Gleichniß, als daß von Dingen hergenommen ist, die er gerade vor sich sieht, und man wundert sich oft, wie er aus einem erbärmlichen Stoffe etwas so Herrliches und Herzerhebendes zu bilden wußte. Wenn er dann in Feuer geräth, so wird sein Schritt hastiger, oder wenn er gewisse Gegenstände fixirt, um sie tief zu ergründen, dann steht er auch wohl gar stille und stemmt einen Fuß vor den andern, den Körper rückwärts gebogen. Ihm bei Tische gerade entgegen zu sitzen und in sein feuriges tiefes Auge zu blicken, ist eine wahre Wonne. (Goethe sagt selbst einmal was ähnliches in seinem »Götz«.) Es drückt sich in seinen Zügen bei aller Majestät so viel Güte und Wohlwollen aus. Nie aber ist er angenehmer und liebenswürdiger, als des Abends in seinem Zimmer, wenn er ausgezogen ist und entweder mit dem Rücken gegen den Ofen steht, oder auf dem Sopha sitzt. Ja, da wird es unmöglich, sich ihm nicht hinzugeben. Ob es die Ruhe macht, die abendliche Stille, das Gefühl der Erholung von oft schweren Arbeiten, oder was es ist: dann ist er am heitersten und gesprächigsten, am offensten und herzlichsten. Ja, Goethe kann die Herzlichkeit [273] selbst sein. Dann hat sein manchmal furchterregender Blick auch als Schreckhafte verloren.

Sobald ich in Weimar etwas eingerichtet bin, will er eine Gesellschaft junger Leute um sich versammeln, von solchen, die Lust haben, vorwärts zu schreiten. Da sollen Schriften aus mehreren Fächern und Sprachen gemeinschaftlich gelesen und besprochen werden. Ich weiß schon aus der Erfahrung, wie mit Liebe er so was unternimmt und betreibt. Die Früchte dieser Conversationen sollen denn zugleich auch aus die »Literaturzeitung« verbreitet werden, und wahrlich! das ist ein glücklicher Gedanke; denn Goethe, der zum eigentlichen Recensenten nicht geschaffen ist, giebt doch oft im Gespräche die herrlichsten und treffendsten Urtheile, die durchaus nicht verloren gehen dürfen. Und welche Ubung wird es für uns sein, Winke und umhergestreute Ideen der Art aus Goethes Geiste auffassen zu lernen, und in Aufsätze oder Recensionen sie zu fixieren! Weiß man doch das erst am deutlichsten und klarsten, was man selbst andern mitzutheilen genöthigt wird!

Was sagen Sie zu seiner Recension von meines Vaters Gedichten? Welch ein schöner Gedanke, des Dichters poetisches Leben aus seinen Gedichten zu entwickeln, und welch ein tiefes Studium der Gedichte in dieser Entwickelung! Ein wahres lebendiges Votivgemälde. Fast jedes Wort könnte als Citat ein Lied bekommen. Ungemein schön ist der Übergang von den Herbstliedern zu den religiösen. Ich habe diese Recension [274] recht von Grund aus entstehen sehen. Gewöhnlich des Abends von 8 -10 las ich Goethen die Gedichte vor. Als ich das »Herbstlied« anfangen wollte: »Die Bäume stehn der Frucht entladen«, nahm er mir das Buch aus der Hand und sagte: »Das will ich selber lesen.« Er las es, und gleich darauf »Trost am Grabe«. Die Worte in der Recension, mit denen er diese Lieder bezeichnet, mögen Ihnen die gerührte Stimmung aussprechen, womit er sie las. Einige Stellen habe ich ausgearbeitet, nämlich die über die höheren Stände und den letzten Theil über Sprache, Rhythmik und Mythologie. Versteht sich, daß Goethe nachher revidirte, um den Stil mit dem seinigen gleichförmig zu machen, wo es mir nicht gelungen war.

Sonnabend [7. April] hatten wir den »Macbeth«; er ward meisterhaft gegeben, obgleich in seiner ganzen blutigen Gräßlichkeit. Die Hexen waren junge Mädchen, schön von Wuchs und recht artig gekleidet, die Eine sogar zierlich. Es war ein kühner Gedanke von Goethe, das Schreckliche dieser Wesen mehr in die Wirkung, als in die Gestalt zu setzen, und sie that so auch bei weitem größere Wirkung, so wie der Teufel in schöner Gestalt gräßlicher ist (für mich wenigstens), als in der teuflischen. Die Todtenstille unter den Zuschauern war mir manchmal ebenso schrecklich, als das Stück selbst; dann war es, als stünde das ganze Geisterreich geöffnet. Goethe war den Abend außerordentlich fröhlich, (wir saßen noch um halb 12 auf) daß die Vorstellung [275] so geglückt sei; auch Schiller, mit dem ich nach der Vorstellung noch einen Augenblick nach Hause ging.

.... Goethes Zutrauen und seine Liebe zu verlieren, wäre das Schrecklichste, was mir in Weimar begegnen könnte, aber so lange ich bleibe was ich bin und fortfahre zu werden, was ich werden kann, so lange werde ich sein »lieber Sohn« bleiben, wie er mich mehrere Male genannt hat.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1804. 1804, Ende März und Anfang April.: Mit Johann Heinrich Voß d. J.. a.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A717-8