1818, 7. December.


Mit Peter Oluf Bröndsted und Herrn Lunzi

Montag Vormittag, den 7. December, war ich wieder, mit Lunzi 1, bei Goethe. Der edle Greis empfing uns äußerst freundlich. Wie ward ich überrascht, als ich in seinen Salon eintrat und eine sehr hübsche Zeichnung von einer großen Gruppe aus dem Fries des Tempels zu Phigalia auf dem Klaviere aufgestellt fand. Dieses gab Veranlassung zu einem Gespräche über den phigaleischen Fries. Ich erzählte ihm, was er bisher nicht recht wußte, daß diese Marmore die inwendige Verzierung der Tempelzelle waren, auch wie sie gefunden worden, über die Ausgrabung, unseren höchst interessanten Aufenthalt daselbst etc. Goethe sagte einzelne schöne und sehr treffende Bemerkungen wegen der herrlichen Gruppe, die uns gegenüber stand, z.B.: »daß jedes Kunstwerk dieser wunderbaren Nation nicht allein oder für sich isolirt betrachtet werden muß, sondern in Verbindung mit der ganzen Existenz der Hellenen, als ein Glied des wunderbaren Kunstlebens, das nur diese Nation lebte: nur in dieser Weise gelangen wir zu einer wahren, objectiven und geschichtlichen Werthschätzung und Beurtheilung des Werkes. In der uns fast unbegreiflichen Kunstfülle, darin die Griechen lebten, [348] liegt der Grund so mancher Zurücksetzung dessen, was wir, nach unserer beschränkten Schulnorm (wonach die Erzeugnisse unserer eigenen Zeit gewöhnlich angeschaut werden), als wichtig und wesentlich ansehen. Daß der Hellene z.B. oft einen Arm oder ein Bein kürzer oder länger machte als es die Correctheit der Zeichnung zu gestatten scheint, läßt sich gar nicht läugnen, sogar in höchst vorzüglichen antiken Compositionen, aber so Etwas ging ihm nicht an, wenn die Verhältnisse und das Local solches deckten. Bisweilen werden wir sogar finden, daß diese Bedingungen eine solche Unregelmäßigkeit forderten, und daß das Ensemble und der Totaleindruck, das stete und wichtigste Augenmerk des Griechen, dadurch gewann.« – Ich hatte gute Abdrücke meiner wenigen mitgebrachten antiken Gemmen mit zu ihm genommen. Diese freuten ihn sehr. Er seinerseits zeigte mir eine Menge schöner Abdrücke von merkwürdigen Intaglios. Einige waren sehr schön; ich kam aber nicht recht dazu seine Kunstschätze zu genießen, denn er war affairé mit verschiedenen Besuchen etc. wegen der Hofmaskerade. Goethe führte uns in andere Zimmer, wo er seine Bronzefiguren und kleine antike Marmore nebst einer großen Anzahl herrlicher Abgüsse von antiken Marmorwerken hat; hier war es aber außerordentlich kalt, der Mann fror, und ich sah das Ganze nur flüchtig. Ich sprach auch mit Goethe über Oehlenschläger, und ein Gruß von unserem Dichter war ihm sehr willkommen. Es freute ihn zu erfahren, daß [349] Oehlenschläger bei der Nation geachtet und beliebt ist, wie er es zu sein verdient. Von dem Betragen Baggesen's hatte er nur flüchtig etwas gehört; ich erzählte ihm mehr davon. Er äußerte 2: »Ja, das mein' ich wohl, daß er nit was Gutes schafft – der ist mir immer als ein lockerer Geselle vorgekommen.« Als ich den herrlichen Greis verließ, sagte er 3: »Na! Sie haben tapfer und kräftig das phigaleische Abenteuer und viele andere bestanden, so darf ich wohl hoffen, Sie wieder einmal, wenn ich lebe, gesund und wohl und in einer freundlicheren Jahreszeit bei uns zu sehen.«


Note:

1 Junger Grieche, der in Dänemark einige Jahre gelebt hatte.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1818. 1818, 7. December. Mit Peter Oluf Bröndsted und Herrn Lunzi. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A73E-1