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Unvergeßlich ist mir die liebste Erinnerung an Goethe. Ich war mit Ottilie an einem schönen Frühlingstage zu Fuß nach Tiefurt gegangen. Lange hatten wir auf dem stillen friedlichen Platz neben dem Pavillon gesessen; .... der Vormittag war verstrichen und wir gingen durch den Park nach der oberen Chaussee. Dort hielt ein Wagen; Goethe stieg aus, [196] umfaßte jede von uns mit einem Arm und führte uns zurück nach der Ilm, lebhaft von Tiefurts Glanzzeit und der Herzogin Amalia erzählend. An einem länglich viereckigen Platz, von alten Bäumen umgeben, blieb er stehen; es war der Theeplatz der edlen Fürstin. Etwas weiter zeigte er uns die Stellen, für die er ›Die Fischerin‹ geschrieben hatte und wo sie aufgeführt worden war. So weich und mild sah ich ihn nie; der ganze Tag war so harmonisch. Langsam stiegen wir den Berg hinauf, wo der Wagen hielt und fuhren zusammen nach Weimar zurück. Vor Goethe's Hausthür stand ein kleiner Knabe, der Pfefferkuchen feil bot; Goethe nahm ein Herz über dem zwei Täubchen einträchtig saßen, schenkte es mir und lud mich noch zu Mittag ein, was Friedrich rasch meinen Eltern kundthun mußte. Nach Tische holte er seinen ›Faust‹, an dessen zweitem Theil er noch arbeitete und aus dem er Ottilie oft vorlas. Jetzt durfte ich ihm lauschen; ich hätte es ewig thun mögen, nie den Platz zu seinen Füßen zu verlassen brauchen. Es dämmerte, als ich gehen mußte. Die Hand, die er mir reichte, zog ich dankbar und ehrfurchtsvoll an die Lippen. Er sah wol, welch einen Eindruck ich mit mir nahm und sagte noch, als ich mit Ottilien an der Thür stand: ›Ja, ja, Kind! Da habe ich viel hineingeheimnißt.‹ .....

Anmuthig war eine Stunde in Goethe's Hausgarten, wo ich mit Ottilie einem Menschenschädel, den wir am Zaun gefunden hatten, würdigere Ruhe unter[197] einem Baum bereitete. Goethe hatte uns von seinem Arbeitszimmer im sonnigen Garten gesehen, kam herunter und sagte: ›Ihr Frauenzimmerchen verklärt auch noch den Tod.‹ Wir hofften den Gedanken gedichtet zu bekommen, aber es blieb bei der schönen Prosa.

Einandermal überfielen wir, eine Schar übermüthiger Mädchen, den Dichter zur Abendzeit in seinem Gartenhaus. Wir kamen von Tiefurt und brachten ihm eine Menge Frühlingsblumen. Dabei hatte eine von uns das Unglück, den Gypsabguß einer Venus umzustoßen. Wir wurden blaß vor Schreck, einen Zornesausbruch erwartend; die Sünderin selbst brach in Thränen aus. Ein sonniges Leuchten flog jedoch über seine Züge; er drohte mit dem Finger und meinte: ›Ei, ei! wer wird um die Todte weinen, wo Venus so viel lebende Vertreterinnen hat!‹

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. Zeitlich ungewiß. Zwischen 1826 und 1832.: Mit Jenny von Pappenheim. c.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A7C7-D